~Willkommen~ |
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„Was hast du diesmal gesehen, Siana?“ Ich öffne die Augen und stütze mich auf meine Ellbogen. Mir ist immer noch ein bisschen schwummrig von der Tablette. „Möchtest du erst etwas trinken?“ Ich schaue zu Dr. Lücke. Er hält Stift und Klemmbrett schon bereit.
„Nein, schon gut“, antworte ich. „Also, es war irrsinnig kalt und es hat geregnet. Sehr stark.“
„Dafür hätte ich dich nicht in Trance versetzen müssen, Siana.“ Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, was er damit meint. Ich ignoriere den schlechten Witz und fahre fort.
„Ich saß in einer dreckigen Gasse neben einem großen stinkenden Kasten, wohl ein Müllcontainer. Das widerlichste daran war aber, dass ich in einer riesigen stinkenden Blutlache saß. Und... nein, mehr konnte ich nicht erkennen.“
„Wessen Blut war das?“ Ich zucke mit den Schulten.
„Woher soll ich das wissen?“
„Siana, sind wir wieder launisch?“ Ich springe von der Liege und frage, ob ich jetzt gehen dürfte.
„Draußen wartet jemand auf mich, wissen Sie?“ Er seuftzt.
„Dein schlacksiger Freund da?“
„Luke. Mein Freund heißt Luke. Wann kapieren Sie das endlich? Und nein, es ist nur mein Kumpel Shaun.“
Kritisch hebt er einer seiner Augenbrauen zu mir. „Also ist das mit dir und „Luke“ jetzt vorbei?“
„Nein! Shaun ist nur... ach vergessen Sie´s. Das geht Sie doch sowie so nichts an.“ Dr. Lücke legt sein Klemmbrett zur Seite und geht zu mir hinüber. Er drückt mich an der Schulter auf das alte rote Sofa und setzt sich neben mich. Sofort steigt mir der Geruch seines billigen Rasierwassers in die Nase. Was eigentlich seltsam ist, er hat sich nämlich offensichtlich schon seit einigen Tagen nicht mehr rasiert. Ich widersetze mich dem Drang von ihm wegzurücken.
„Das geht mich sehr wohl etwas an, Siana! Du hast einen Hirnschaden in deiner linken Gehirnhälfte. Bis auf die Schlafstörungen und die gelegentlichen Blackouts hat er aber noch keine schwerwiegenderen Spuren hinterlassen. Doch bevor sich das Problem noch weiter ausbaut, versuche ich mit den Tabletten den Dingen entgegenzuwirken. Doch das kann ich nur, ...“
„ …, wenn Sie mich und meine innersten Gedanken besser kennenlernen“, beende ich seinen kleinen Vortrag. Ich verdrehe die Augen. Mir ist nicht bewusst, wie oft er das schon zu mir gesagt hat, aber zehn mal wird wohl kaum ausreichen.
„Na gut, dann geh. So kommen wir momentan nicht weiter“. Ich stehe erleichtert auf.
„Bis übermorgen, Dr. Lücke.“
„Ja, bis dann.“ Als ich die Tür hinter mir zuziehe, sehe ich Shaun an einem Stehtisch auf mich warten. Als er mich sieht, packt er seine Schwimmsachen zusammen. Er wartet immer in der Aula der Reha auf mich, wenn er mit dem Training früh genug fertig ist. Ich laufe zu ihm und umarme ihn kurz.
„Hey, Kleine!“
„Hallo.“ Er legt seine Hand auf meine Schulter.
„Alles okay? Du wirkst etwas gestresst?“
„Du kennst doch Dr. Lücke. Er kann wirklich nerven.“
„Wieso?“, fragt Shaun, „was ist passiert?“ Ich winke ab.
„Ach nichts weiter. Wie war dein Schwimmtraining?“ Er scheint sich zu freuen, dass ich das Thema angeschnitten habe, denn er beginnt von irgendwelchen exotischen Schwimmtechniken zu predigen. Ich schaue ihn nur mit großen Augen an. „Shaun, dir ist doch klar, dass ich davon genau soviel verstehe, wie du, wenn ich von den neuesten Haarkuren schwärme“. Daraufhin muss er lachen.
„Entschuldige, Sisi. Ich vergesse das immer.“ Eigentlich heiße ich Siana, aber wenn ich nicht gerade wieder die „Kleine“ bin, heiße ich für ihn Sisi. Er deutet dann auf die große Glastür nach draußen. „Komm, stürzen wir uns in die Fluten!“. Gesagt, getan. Und keine Minute später hängen meine feuerroten Locken in welligen Strähnenvon meinem Kopf.
„Ich hasse Regen!“, rufe ich.
„Ach Sisi, du bist nicht aus Zucker.“, lacht Shaun. Ja, er hat gut Lachen. Im Gegensatz zu mir trägt er eine Kapuzenjacke. Überhaupt eine Jacke! Ich versumpfe in einem weißen Sommerkleid und gleichfarbenen Ballerinas.
„Mr Shaun Michaels, ich muss schon sagen, Sie sind ein wahrer Idiot!“ Lachend ziehe ich ihm die Kapuze vom Kopf. Sein breites Grinsen schwindet gespielt.
„Hey, ich werde ja ganz nass!“, ruft er empört.
„Gleiches Recht für alle“ trällere ich und renne voraus. Patsch, patsch, patsch. Deutlich höre ich, wie er hinter mir her hastet. Aus den Pfützen, in die ich trete, spritzt schmutziges Wasser. Meine Ballerinas werden total dreckig. ´Egal´, denke ich. Doch dann bleibe ich keuchend stehen, um mir meine Schuhe abzustreifen. Shaun hat mich inzwischen erreicht. „Mach dich mal nützlich, Faulpelz“, sage ich und drücke ihm meine Schuhe in die Hand. Kommentarlos nimmt Shaun sie an sich. Ich grinse keck und lege den Kopf ein wenig schief.
Ich kenne ihn schon ewig. Wir waren zusammen im Kindergarten, in der Grundschule und jetzt gehen wir in die selbe Realschule hier in der Kleinstadt XY. Im Kindergarten war ich immer ein Stückchen größer als er. Aber inzwischen reiche ich ihm nur noch bis knapp über die Schulter.
Ich schaue zu meinem Sandkastenfreund hinauf. Seine sonst lockigen braunen Haare kleben an Stirn und Nacken. Fasziniert beobachte ich einen Wassertropfen, der sich seinen Weg über sein Gesicht mit den hohen Wangenknochen bahnt. Seine grauen Augen blicken in die Ferne. Er deutet auf die Klinik, die nun einige Meter hinter uns liegt.
„Siana, das nächste Mal, wenn du wieder diese dämliche Sitzung hast, komme ich nicht mehr mit. Der Kaffee am Kiosk schmeckt geradezu wie Spülmittel.“ Ich mustere sein Gesicht. Meint er das etwa ernst? Wartet er jetzt nicht mehr auf mich, wegen dem Kaffee dort? Er muss das bemerkt haben, denn er fügt lachend hinzu:
„Keine Angst, Kleine. War doch nur ein Scherz.“ Dachte ich mir schon.
„Du Spinner!“, rufe ich und boxe ihm lecht in die Seite. Als ich wieder zu ihm aufblicke, bohren sich seine sturmgrauen Augen in meine.
„So schnell wirst du mich nicht los. Und außerdem lass ich dich doch nicht mit diesem Möchtegerndoc Lücke allein“ Er streift eine Haarlocke, die mir ins Gesicht hängt, hinter mein Ohr und grinst breit. Verwirrt starre ich ihn an, Er beugt sich tief zu mir hinunter. Mein Herzschlag setzt aus. Wollte er etwa...? Hitze schießt in meine Wangen.„Schätzchen“, wispert er. Sein Atem kitzelt an meinem Ohr. „Fang mich, wenn du kannst!"
"Hey, das ist gemein!“ Ich seuftze und stürme ihm und meinen Schuhen hinterher. Er ist wahnsinnig schnell und ich tue mir schwer ihm hinterher zu kommen. Bei der kleinen Kapelle blieb er dann endlich stehen und stellte meine Schuhe ab. Er winkt mir von Weitem zu.
„Ich muss los!“ Er biegt rechts ab.
„Tschüss!“, ruf ich ihm hinterher. Völlig außer Atem schnappe ich mir meine Ballerinas und tapse über die Straße zu dem Reihenhaus, in dem ich mit meiner Mutter und 3 anderen Familien, die ich eigentlich kaum kenne, wohne.


Als ich den Schlüssel in das Schloss schiebe, reißt meine Mutter schon die Tür auf. „Liebling, du bist ja ganz nass!“ Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen, Mum. Sie nimmt mich in den Arm und wühlt in meinen Haaren herum. Sie blickt entsetzt an mir herunter. „Bist du etwa barfuß? Mensch, wenn das so weitergeht wirst du noch krank und musst im Bett bleiben. Und krank sein ist nichts Schönes.“ Oh, bitte nicht das schon wieder. Letzte Woche hat sie mir einen Vortrag über eine Mittelohrentzündung gehalten, weil es etwas windig war. Sie will wohl einfach nicht wahrhaben, dass ich älter bin, als die Kinder in ihrer Kindergartengruppe. Ich blende ihre Bemerkungen zum Thema Ansteckungsgefahr bei Grippe und Co. aus und schiebe mich an ihr vorbei.
„Mir geht’s gut Mama.“ Ich lege die Ballerinas vor den Schuhschrank und rufe ihr zu, dass ich duschen gehe, noch ehe sie mich auf die verdreckten Schuhe ansprechen hätte können. Auf meinem Weg nach oben nehme ich immer gleich zwei Stufen auf einmal.
Als ich später das Bad wieder verlasse, habe ich frisch gewaschene und geföhnte Haare. Ich fahre durch die langen Strähnen und rieche an ihnen. Der Duft meines Pfirsichshampoos erfüllt meine Nase. Ich liebe diesen Geruch.
Plötzlich klingelt mein Telefon. Ich laufe in mein Zimmer. Das Telefon liegt auf meinem Schreibtisch und als ich es in die Hand nehme, sehe Lukes Namen auf dem Display. Immer noch im Bademantel hebe ich ab und sage meinen Standardspruch auf. „Siana Mara am Apparat, mit wem spreche ich?“
„Hi, ich bins Luke!“ Beim Klang seiner Stimme beginne ich unwillkürlich zu grinsen. „Ich wollte fragen, ob ich dich und Cassady morgen zum Einkaufen begleiten könnte“.
„Zum Einkaufen?“ Ich lache kurz auf, dann frage ich mich jedoch, warum er überhaupt mitkommen möchte. „Nunja, Cassady und ich wollten in der nächsten Großstadt nach einem Kleid für den Abschlussball sehen.“
„Na und?“, fragt er etwas zu unschuldig.
„Ich glaube nicht, dass dir rosa Seide steht.“, scherze ich. Er lacht kurz auf, dann sagt er mir, was er genau meinte. Seine Eltern haben ihn anscheinend dazu angestiftet, mich zu fragen, ob er mitkommen dürfe.
„Mein Anzug, also eher gesagt Hemd und Krawatte, sollten eben zu deinem Kleid passen.“ Ich versuche, mir Luke im Anzug vorzustellen, was gar nicht so einfach ist. Lässiges Shirt, Jeans etwas zu tief, Mütze über dem blonden Haar. So kennt man ihn. Dann nicke ich, was eigentlich sehr dämlich ist, da wir ja telefonieren und antworte:
„Gut, dann komm mit. Cassady hat bestimmt nichts dagegen.“ Meine beste Freundin Cassady und Luke haben sich immer gut verstanden. „Und was das Zusammenpassen betrifft, ist man bei ihr sowieso immer auf der sicheren Seite.“ Cassady, deren Welt aus Mode zu bestehen scheint. Sie kennt sämtliche Farbtöne. Es gibt so viele Nuancen, dass kein normaler Mensch sie alle kennt.- außer Cassady. Sie trägt stets das schickste Outfit, das gewinnenste Lächeln und selbstverständlich immer die perfekte Frisur. Was sie nicht schon alles aus den langen blonden Haaren gemacht hat. Sämtliche Hochsteckfrisuren, Flechtzöpfe, normale Zöpfe, Schleifen. Glatte Haare, wellige Haare, Korkenzieherlocken. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht mal sicher, wie ihre Haare im Normalzustand aussehen würden.
„Ja, sie hat einfach Stil“, sagt Luke. Dann besprechen wir noch kurz, wann wir uns treffen und als ich mich gerade verabschieden wollte, sagt er mit verführerischer Stimme: „Ich finde übrigens, dass ich in rosa Seide umwerfend aussehen würde.“ Ich pruste los. Dann schon eher mit angegelten Haaren und im Schnöselanzug.
„Ganz bestimmt!“, sage ich immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen und wenig später ist das Gespräch beendet.
Ich denke an die merkwürdige Situation vorhin mit Shaun. Hat er mich etwa angegraben? Nein, er ist nicht so, wie die anderen Jungen an unserer Schule, die einen beim Vorbeigehen hinterhergaffen und Dinge nachrufen. Shaun ist und war immer wie ein Bruder für mich. Einem, dem man alles anvertrauen kann. Ich streife mir den Bademantel vom Körper und ziehe mir meine grüne Sporthose und ein weißes Top über. Entspannt gehe zu meinem geliebten Klavier. Es steht schon seit zwei Jahren hier drin. Meine verstorbene Großmutter hat es mir damals vermacht. Ich rücke mir den Klavierhocker zurecht und öffne die Tastenklappe. Verträumt streiche ich über die alten Tasten. Nein, zum komponieren habe ich nun keine Lust. Ich spiele lieber ein Lied, das ich schon vor langer Zeit einmal gelernt habe. Es heißt „Kiss the rain“ und ist von meinem Lieblingskomponisten Yiruma.
Während die ersten Töne erklingen, fällt mir erst auf, wie sehr das zu meiner vorherigen Situation mit Shaun passt, zumindest was den „rain“-teil angeht. Die Töne sind mir so vertraut, dass ich die Augen schließen kann, ohne mich zu verspielen.
Vor meinem inneren Auge fallen Regentropfen auf nackten Asphalt. Auch Shaun taucht immer wieder auf, wie er sich zu mir hinunterbeugt, wie der Regen seine Locken triefend nass macht. Doch etwas ist anders. Ich fühle seinen seichten Atmen jetzt direkt über meinen Lippen. Er küsst mich so warm und weich, wie die sanfte Melodie die in der Luft schwebt.-inniger, als die Momente, in denen Luke mich küsst.
Luke. Luke! Angestrengt schüttle ich den Kopf. Ich habe einen Freund! Ich gebe mir Mühe es zu verdrängen, doch immer wieder erscheint das verzerrtes Bild von Shaun und mir. Meine Finger verkrampfen und ich höre auf zu spielen. Was soll das? Luke ist der beste Freund, den ich mir erträumen könnte. Ich werfe mich auf mein Bett und vergrabe mein Gesicht in dem roten Federkissen. Nach einiger Zeit setze ich mich wieder auf und krame die Tabletten hervor, die Dr. Lücke mir gegeben hat. Er hat mir für alle Fälle verschiedene Tabletten gegeben. Er meint, sie sind direkt auf mich abgestimmt. Ich soll also weder andere Medizin nehmen, noch meine Tabletten jemand anderem geben. Meiner Meinung nach übertreibt er etwas. Ich gehe die kleine Liste durch. Blau-Magenbeschwerden, die tägliche Gelbe gegen Schlafstörungen und die Blackouts, die mich manchmal quälen. Lila-Fieber. Hellblau, Grün. Rosa-Kopfschmerzen. Na also. Schnell schlucke ich zwei von den Kopfschmerztabletten und lege mich wieder hin, doch wie befürchtet helfen sie kein bisschen.
Mein Blick schweift durch mein Zimmer, auf der Suche nach einer Beschäftigung. Der alte Computer, die Magazine auf dem Schreibtisch. Das Bücherregal, und das Klavier. Letztlich haftet mein Blick auf der schwarzen Schultasche, die ich heute Mittag halbherzig auf mein kleines Sofa geworfen habe. Ich gebe mir einen Ruck und ziehe das Mathebuch hervor. In zwei Tagen ist der letzte Test für mein Abschlusszeugnis, für den ich bisher wenig bis gar nicht gelernt habe. Verzweifelt wälze ich in dem Buch auf der Suche nach einer machbar erscheinenden Aufgabe, bis mir ein paar simpel aussehende Gleichungen ins Auge springen.
Nach etwa zehnminütigem Rechnen und Umformen melden sich meine Kopfschmerzen schlagartig wieder, sodass mir ein lautes Stöhnen entfährt. Reflexartig klatsche ich meine Hand vor den Mund, doch es ist schon zu spät. Die Tür öffnet sich und meine Mutter stürmt herein.


„Ist alles in Ordnung mein Schatz? Ich hab dich aufschreien hören!“ Inzwischen sitzt sie neben mir und tastet meine Stirn ab und legt zwei Finger an meinen Hals, um meinen Puls zu prüfen.
„Ach, Mama“, sage ich, während ich ihre Arme von mir abstreife, „Das war doch nur ein kleiner Seufzer. Ein wenig Kopfschmerzen, weiter nichts.“
„Das hast du das letzte Mal auch behauptet“, gibt sie zurück, die Arme verschränkt, „und fünf Minuten später lagst du mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden.“
„Ich weiß nicht, wann ich diese Blackouts bekomme, aber ich glaube nicht, dass es an den Kopfschmerzen liegt. Eben habe ich schon zwei Tabletten genommen.“ Der Druck im Kopf wird wieder schlimmer und ich presse meine Hände auf meine Schenkel, damit sie nicht sieht, wie sehr sie zittern.
„Haben sie wenigstens gewirkt?“. Sie legt eine Hand auf meine Wange.
„Ja, Mama.“, lüge ich. „Du machst dir zu viele Sorgen, das kann manchmal wirklich nerven.“ Sie zieht ihre Hand zurück und gibt mir einen leeren Blick. Dann steht sie auf und geht zur Tür. Ich war zu hart.
„Das war nicht so gemeint, Mama!“, versuche ich zurückzurudern. Die Tür fällt ins Schloss. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Meine Mutter ist keine Person, die man sehr schnell aus der Ruhe bringen kann. Sie ist hilfrech und selbstlos. Sie nimmt alle Manschen, wie sie sind. Sie übergeht jegliche schnippischen Kommentare. Aber all diese Dinge hat man auch an ihr zu respektieren.Bei Kommentaren wie meinem, bekommen ihre Augen immer diesen leeren Blick, ihre Lippen bilden eine strenge Linie. Diese Emotionslosigkeit lässt mir immer einen Schauder über den Rücken laufen. Morgen werde ich mich so überschwänglich entschuldigen, wie nur möglich.
Ein Stich in meinem Kopf. Bitte nicht! Bitte nicht schon wieder einer dieser nervenzehrenden Blackouts. Vorsichtshalber lege ich mich auf das Sofa. Ein weiterer Stich. Sollte ich vielleicht nach meiner Mutter rufen? Sie könnte aber auch nichts tun, außer mir noch mehr Tabletten in den Mund zu schieben. Und danach würde sie mir einen Ich-habs-dir-doch-gesagt-vortrag halten. Stattdessen schnappe ich mir ein Kissen und beiße darauf, um nicht zu schreien. Ein weiterer heftiger Stich und alles verschwimmt, wird schwarz.
Überall tiefe Schwärze. Ein dumpfes Prasseln in der Ferne. Ich öffne die verquollenen Augen und finde mich in einer dunklen Gasse. Ich lehne an einem mauerartigen Gebäude in einer getrockneten Blutlache, vom Regen leicht verschwemmt. Ich weiß nicht, wessen Blut das ist und ich will es auch nicht herausfinden. Angewidert versuche ich, mich aufzusetzen, doch meine Gliedmaßen sind schwer und schmerzen bei jeder Bewegung. Besonders mein rechtes Bein verursacht höllische Schmerzen. Ich stöhne, als ich mich vorbeuge, um die schwarze Hose hochzukrepeln. Schon bei den ersten Zentimetern durchfährt mich ein sengender Schmerz von meinem Bein bis zu meinem Herzen, aber ich höre nicht auf. Beim Anblick des tiefen Schnitts der langsam zum Vorschein kommt, wird klar, wessen Blut an mir klebt. Ich schreie vor Schmerz. Er nimmt mir den Atem, aber ich schreie weiter. Meine Kehle kratzt, aber ich schreie weiter. Eine Stimme flüstert zu mir, aber ich ignoriere sie. Ich will weiter schreien, doch mein Hals lässt es nicht zu. Der Schmerz hält an, und ich flehe, dass es aufhört. Wieso hört er nicht einfach auf? Die Stimme wird langsam deutlicher. „Es kann aufhören.“ Ich presse meine Hände auf den Schnitt und breche in Tränen aus. „Es kann aufhören. Beruhige dich. Dann hört es auf.“ Ich sacke zusammen. Ich gehorche und schließe meine Augen, kontrolliere meinen Atem. „Siana, komm zurück.“ Ich öffne meine Augen wieder ein wenig und finde mich in den Armen meiner Mutter wieder. Ihr Gesicht ist verschwommen durch meine Tränen. „Siana.“ Ein trauriges Lächeln umspielt ihre Lippen, als sie die Tränen aus meinem Gesicht wischt. Ich müsste ihr sagen, dass es mir gut geht. Ich müsste ihr sagen, dass sie wieder gehen kann, dass ich alleine zurecht komme. Aber das wäre eine Lüge. Deshalb schlinge ich nur meine Arme um sie und flüstere ein „Danke“ in ihr Ohr.


Danke. Ich finds zwar eher etwas misslungen und deutlich überarbeitungswürdig, aber wenn du das sagst.
Ja, schon. Aber hier in Aca als "FF" liest es keiner, weils so viel zum lesen is und dann kann ich es eig auch gleich löschen :P



Ja also ich hab mal ein bisschen weiter geschrieben :)
Am nächsten Tag wartete ich am Bahnhof auf Cassady. Es ist inzwischen Viertel nach 11. Vor 15 Minuten wollten wir uns eigentlich treffen. Cassady kommt oft etwas zu spät, aber immerhin treffen wir uns zum Shoppen-Cassady's Lieblingsbeschäftigung. Ich seuftze, als ich sehe, wie am Gleis gegenüber Leute in den Zug einsteigen, den Cas und ich nach Leondale nehmen wollten.
Einer der einsteigenden Passagiere sieht Luke verdammt ähnlich, aber mit der grellen gelben Sonnenbrille im Gesicht kann ich den Jungen kaum identifizieren. Es würde aber auch überhaupt keinen Sinn machen, da Luke in Leondale wohnt und wir ihn dort erst treffen wollen.
Plötzlich taucht Cassady neben mir auf und redet wie ein Wasserfall auf mich ein:"Tut mir Leid, dass ich zu spät bin Siana. Schickes Kleidchen!" Sie fängt an, an dem Stoff herumzufummeln. "Ist das etwa echte Seide? Nunja, dieses Citron passt aber nicht so gut zu deinen feurig roten Haaren, Süße. Welche Farbe schwebt dir eigentlich für dein Abschlussballkleid vor? Ich selbst habe mir für mein Kleid erst rot ausgesucht, aber das hat ja fast jeder. Was hälst du von Limette?" Sie deutet auf ihr "limette"-farbenes Top, aber ich sehe sie nur verwirrt an. "Hast du einen Radiosprecher gefrühstückt Cas'?" Sie wirkt irgendwie nervös. "He, ein bisschen mehr Euphorie!", gab sie zurück. "Wir kaufen heute immerhin unser Ab-schluss-ball-kleid! Das Kleid der Kleider! Gut, mal abgesehen vom Hochzeitskleid." Sie blickt auf ihre super antike Taschenuhr und fügt hinzu: "Und jetzt komm, in genau 4 Minuten kommt der nächste Zug." Bevor ich irgendetwas antworten kann, packt sie mich bei der Hand und zieht mich die Treppen hinunter zum gegenüberliegenden Gleis.

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