Siana
"Ein Elementbändiger?", platze ich heraus. Mein Kinn fällt zehn Stockwerke tiefer. Meine Mutter hat mir mal von Elementbändigern erzählt, aber ich kann mich nur noch schwach daran erinnern. Sie sagte, dass sie sehr mächtig seien, denn sie können mit der richtigen Übung alle vier Elemente beeinflussen und stehen somit über allen Einelementwesen. Es war mehr eine gruslige Legende für mich, als eine wahre Geschichte. Er schaut mich geheimnisvoll an und wieder fährt mir ein Schauder eiskalt über den Rücken. Ich versuche mich wieder zu fassen und erzähle ihm dann, was ich von meiner Mutter weiß.

Derek:
Deswegen hatte sie solchen Respekt vor mir... Was diese Wassernympen sich doch alles erzählten... "Naja, selbst wenn ich ein Elementbändiger bin und kein Dämon, kann ich dennoch nur solche armseligen Schmetterlinge fabrizieren...", meinte ich sachlich. Hoffentlich würde ich auf dieser Academy mehr über mich erfahren... "Warum bist du hier?", wollte ich wissen und zwang mir ein Lächeln auf.

Siana
"Ich war schon einmal hier auf der Akademie", antworte ich ihm. "Da war ich noch in der Juniorklasse. Aber dann bin ich ein Jahr nach Hause. Aber dort...", ich stockte. Ich komme ständig in diese Situation. Ich kann nicht wieder wegrennen, wie vor der Lehrerin eben. "Also... nun jetzt bin ich eben wieder hier." Ein stechender Schmerz durchfährt meine Narbe plötzlich. Ich zische auf und halte meine Hand an meine Stirn. "Autsch!", sage ich, "Diese dämliche Narbe!" Die Narbe erscheint mir irgendwie unkontrollierbar. Mal schmerzt sie, mal nicht. Und von Heilung ist sowieso keine Spur.

Derek:
Sie war also schon einmal hier gewesen... Doch irgendetwas war passiert, dass sie mir nicht erzählen wollte... Vielleicht hatte es etwas mit ihrer Narbe zu tun? Obwohl sie mir leid tat, war ich doch ganz froh, dass das Thema zur Vergangenheit vorerst unter den Teppich gekehrt worden war... "Hast du die Narbe schon einmal untersuchen lassen?", fragte ich sie, um noch mehr vom vorherigen Thema abzulenken. Diese Narbe wirkte ziemlich mysteriös. Eine Narbe vo unbekannter Herkunft... Doch das konnte nicht unbedingt sein, es gab bestimmt einen Grund dafür, dass sie gar nicht zu verheilen schien....

Siana
"Ja", antworte ich, "aber die haben das Ding immer nur wieder zugenäht, um es vor "Entzündungen" zu schützen. Dämliche Menschenärtzte eben."

Derek:
Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke.... Ich verwarf ihn sofort wieder und starrte geistesabwesend umher. "Und... wie wäre es, wenn du es mal von einem übernatürlichen Arzt untersuchen lässt?", fragte ich., aber dann fiel mir noch etwas anderes ein. "Gibt es da nicht Heilpraktiken mit Wasser? Die könntest du doch mal ausprobieren.", schlug ich vor. "...Andererseits... Vielleicht ist Wasser etwas zu sanft." Plötzlich war ich in meinem Element. So viel hatte ich noch nie innerhalb einer Minute geredet. "Die Menschen versuchen mittlerweile Narben mit Laserbehandlungen zu entfernen. Das geht anscheinend recht gut... Ist aber schmerzhaft...", erzählte ich. "Ja... Das Feuer ist schmerzhaft... Immerzu....", murmelte ich und dieser geheimnisvolle Ausdruck kam wieder in mein Gesicht. Das Feuer gehörte zu mir. Mit all seiner Macht, seiner Kraft, dem Licht und den Schmerzen. Das Feuer machte mich aus.

Siana
Derek sprudelt nur so von verschiedenen Vorschlägen. Schauder über meinem Rücken-das wird ja langsam richtig peinlich! Also: Übernatürliche Ärzte. Heilpraktiken mit Wasser. Menschliche Lasertechnik. "Ich wäre ja zu übernatürlichen Ärzten gegangen, aber ich habe die Narbe von... Er ist ein Mensch..." Mein Kopf droht zu platzen. Kann das sein? "Glaube ich zumindest.", füge ich nachdenklich hinzu. Mein Vater war ein Mensch. Musste er sein. Er hatte die enorme stinkende Aura vieler Menschen. Ich schiebe den Gedanken fort und ging seinen Vortrag nochmal durch. "Ja", sage ich, "Wasser ist zu seicht. Es kann Schürfwunden und Gelenkschmerzen und solche Sachen heilen, aber offene Wunden? Das bezweifle ich. Und Lasertechnik... Nein, danke! Du hast Recht es schmerzt. Aber mir noch mehr! Wenn die mich anlasern verbrenne ich, oder eher verdunste... wie auch immer, auf jeden Fall sollte ich mich von solchen Teilen weit entfernt halten."

Derek:
Ihr Vater schien eine besondere Rolle in ihrem Leben spielen. Ihre Familie war sicherlich so ungeordnet wie bei vielen anderen... Ich konnte das niemals nachvollziehen... Wie auch? Meine Vergangenheit war eine seltene und furchtbare und zu betrauernde Geschichte. So, wie sie normalerweise nur in Märchen und Filmen vorkam. Und genau deswegen war sie für mich so unreal und vergessen, bis ich solchen Überresten der Vergangenheit anderer Wesen sehe... Ich erinnerte mich genau an den Tag zurück, als die Flammen mich verschont hatten, doch meine Eltern nicht. Es war ein schrecklicher Tag gewesen, dessen Verlauf mein ganzes Leben beeinflusst hatte... Immer wieder gab ich mir die Schuld daran, denn ich wusste, dass ich meine Eltern hätte retten können...
Ich kam wieder zurück in die Wirklichkeit, als Siana mich fragend ansah. Verwirrt schüttelte ich meinen Kopf, um meine Gedanken loszuwerden. "Meinst du wirklich? ", fragte ich. "...Dann ist diese Situation also hoffnungslos?" So wie mein Leben...

Siana
Hoffnungslos? So hab ich nie darüber nachgedacht. Ich nehme vorsichtig die Hand von meiner Wunde und blicke angewidert auf ein wenig grünblaues Blut, das an meiner Hand klebt. "Wahrscheinlich hast du Recht.", sage ich bedrückt. Und plotzlich kommt in mir alles hoch. Der Tod meines Vaters. Der Mord meiner Mutter. Die ständige Flucht vor der Polizei. Die Vergewaltigungen. Ich sacke an einem der Regale zusammen und Tränen sammeln sich in meinen Augen. "Alles an mir ist hoffnungslos. Kann man die Vergangenheit überhaupt vergessen?" ich schluchze. "Oder holt sie einen immer und immer wieder ein?" Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.

Derek:
Auf einmal sackte sie an das Bücherregal. Sie war so erschöpft. Hatte ich das alles verursacht? Trotzdem fühlte ich mich so schuldig. Ich kam ihr näher und kniete mich zu ihr. "Sccchht...", machte ich und streichelte ihr an der Wange entlang. "Du hast Recht: Das kann man nicht...", sagte ich fürsorglich, aber dennoch bestimmt. Ich konnte einfach nicht lügen, denn ich wusste ganz genau, dass es nicht ging. Die Vergangenheit holte mich jeden Tag ein. Immer, wenn ich allein war, oder... mir jemand begegnete, der seine Vergangenheit mit mir teilte. "Meinst du es hilft was, wenn du mir von dir erzählst? Dann kann ich dich besser verstehen...", schlug ich freundlich vor. In gewisser Weise machte sie mich glücklich.

Siana
Er streicht mir über die Wange und irgendwie hat das etwas enorm beruhigendes. Ich blicke auf und schaue ihn durch meine Tränen an. Ich habe das noch nie jemandem erzählt. Kann ich ihm vertrauen? Ich weiß nicht wieso, aber etwas brachte mich dazu, ihm zu vertrauen. Ich schlucke meine Tränen hinunter und begann zu erzählen: "Also... Früher war ich in einer ganz normalen Familie aufgewachsen, Mutter-Vater-Kind. Ganz früher. Doch als ich um die 12 war, kam mein Vater nachts zu mir, wenn meine Mutter Nachtschicht hatte. Er hatte sich über mich gebeugt und.." Wieder muss ich schluchzen. Ich kann es nicht aussprechen. Aber ich bin sicher er würde mich verstehen. "Von da an kam er jede Woche. Immer und immer wieder. Und er hat mir gedroht. Wenn ich irgendwem davon erzählen würde, würde er mich als Alien an die Menschen verkaufen. Wegen meinen übernatürlichen Kräften..." Wieder kommen die Tränen in mir hoch. Es ist grausam, sich daran erinnern zu müssen, aber ich rede weiter: "Eines Abends kam meine Mutter früher nach Hause. Als sie durch die Tür schaute verhielt sie sich erst ganz still. Dann rannte sie in die Küche und... und holte ein Messer..." Ich schaute ihm in die Augen. "Bevor sie es getan hatte, warf er mich mit dem Kopf voraus gegen die Ecke eines massiven Holztisches. Ich verlor mein Bewusstsein für einige Stunden. Als ich aufwachte, saß ich auf dem Beifahrersitz unseres Autos. Es hat geregnet und meine Mutter. Sie war vollkommen nass und verdreckt. Ich habe sie angeschrien, wo er ist, aber sie hat nur geweint. Irgendwann bemerkte ich die dreckige Schaufel auf dem Rücksitz..." Ich halte inne und füge noch hinzu: "Seitdem ist sie immer auf der Flucht. Und ihrer Meinung nach ist dieses Leben zu gefährlich für mich. Deshalb...deshalb bin ich hier. Mein... mein richtiger Name ist eigentlich Marin." Wieder versinke ich im Tränenfluss. Ich habe es soeben einem wildfremden Jungen erzählt. Derek. Er ist nicht mehr wildfremd. Aber sicher wird er es der Polizei melden. "Bitte... bitte sage es niemandem! Bitte!"

Derek:
Eine kleine Träne lief mir über die Wange. Ihre Geschichte war sehr traurig. Ich fühlte ihre Traurigkeit, ich fühlte was sie fühlte. Behutsam umarmte ich sie und strich über ihre roten Haare. "Marin...", flüsterte ich. Dann ließ ich sie los und sah in ihre Augen. Sie war etwas besonderes. "Nie werde ich irgendjemandem deine Geschichte erzählen. Deine Vergangenheit ist bei mir sicher. Das verspreche ich dir.", beteuerte ich. Vorsichtig wischte ich mit meinem Hemdärmel ihre Tränen weg. Wieder nahm ich sie in den Arm. Ich hatte das Gefühl sie bräuchte jemanden, dem sie vertrauen konnte. Diesen Mensch, nein, dieses Wesen hatte sie nun gefunden: Mich. Sie konnte mir vertrauen. Bei mir waren die größten Geheimnisse sicher. Auch meine Vergangenheit. Seit diesem einen Tag schwieg ich. Gerne auch wie ein Grab.

Siana
Er nahm mich in den Arm und versprach mir, es niemandem zu erzählen. Ich schlinge meine Arme um ihn, irgendwie gibt mir das Halt. Ich war so glücklich mir das alles mal von der Seele geredet zu haben. Er streift mir sanft durch die Haare. Das hilft. Sehr. Langsam beruhige ich mich wieder und die die Tränen werden weniger, aber ich lasse ihn nicht los. Schon so lange hat mich keiner mehr umarmt. Meine Mutter ist zu beschäftigt, sich vor der Außenwelt zu schützen, dass sie vergessen hat, dass ich auch beschützt werden muss. Und jeglichen Kontakt mit den anderen in meinen Schulen hat sie mir sowieso verboten. "Danke", flüstere ich ihm zu. "Dankeschön...".

Derek:
Ich ließ sie nicht los, gab ihr solange Halt, wie sie brauchte. "Gern geschehen...", flüsterte ich. Plötzlich fiel mir ein, dass mich so lange niemand mehr umarmt hatte. Meine Eltern... sie waren gestorben. An jenem Tag. Und niemand aus dem Waisenhaus hatte mich jemals umarmt und mir gezeigt, dass ich nicht wertlos war. Nie hatte ich mich glücklich gefühlt. Niemals hätte ich gedacht, dass mich jemand lieben knnte... Ein Schalter in meinem Kopf wurde umgelegt und ich fühlte mich wieder lebendig. Dankbar drückte ich Marin an mich. Ich wollte sie nie in meinem Leben verlieren. Wenn sie jemand verletzen würde, würde ich brechen. Freute sie sich, würde ich mich auch freuen. Ying und Yang waren Wirklichkeit geworden.

Siana
Derek schien es genau so wie mir zu ergehen, denn auch er ließ nicht los. Es war eine sehr lange und innige Umarmung, aber irgendwer musste ja nachgeben, und so sehr es mir widerstrebte, letztendlich war ich das. Ich lockerte meinen Griff und lehnte mich wieder zurück an das Regal. Ich wischte mir die letzten Tränen aus meinem Gesicht und schaute ihm ins Gesicht. Eine kleine Träne zierte seine Wange. Ich war zu tiefst berührt. "Ich habe mich schon lange nicht mehr so verstanden gefühlt, Derek." Er ist nicht wie all die anderen vielen Gesichter, die mir schon über den Weg gelaufen sind. Er war einfühlsam. Er kümmerte sich um meine Gefühle. Er war mein... mein Freund. Ich hatte noch nie einen Verbündeten auf dieser gottverdammten Welt. Aber das fühlte sich verdammt gut an.