Der Schwarzhaarige hatte während ihrer Worte irgendwann den Kopf sinken lassen, sodass er diesen nun auf April's Schulter bettete. Er hörte ihre Worte, doch war zwischen dem ganzen Rauschen in seinen Ohren und seinem Kopf, kaum Platz sie klar beisammen zu verstehen. Sie liebte ihn. Erneut versicherte sie ihm diese Gefühle. Die Gefühle, von welchen er noch vor einiger Zeit geglaubte, er hätte jedes Recht auf sie auf ewig verloren. Er war der Grund warum sie damals gegangen war und dennoch versicherte sie ihm in diesen Augenblick ihre Liebe. Der Hund bekam gar nicht mit, wie seine Stimme nicht nur heiser klang sondern nun auch zitterte. "Danke..." Warum er sich bedankte? Vielleicht weil er glaubte, dass dies das Mindeste war, was er ihr entgegenbringen konnte: Seine unendliche Dankbarkeit. Dankbar, dass sie auf ihn gewartet hatte. "Ich werde es nie mehr vergessen. Niemals." Seine Arme zogen sie enger an sich, rücksichtslos ob es längst keinen Platz mehr gab den es zu überbrücken galt. Mit einem tiefen Atemzug schloss er die Augen und gab sich den Bildern in seinem Kopf hin, welche durch ihren duft ausgelöst vor seinen Augen wieder herum tanzte. Er rief sie immer zu sich, wenn sein Körper und Geist davor waren aufzugeben. Wenn die schmerzen ihn die Luft zum atmen nahmen und sich alles in ihm nur noch ergeben wollte; los lassen und aufgeben. Doch war es dann ihr Name oder ihr Lächeln, ihre Stimme, wie sie seinen Namen rief, ihre strahlenden Augen, ihr dichtes wohlriechendes Haar, ihre Wärme. Er rief sich all diese Erinnerung hervor und vergaß für diesen Augenblick jeden Schmerz. "April." flüsterte der Mann und griff damit das Gebet auf, was ihn in den letzten Monaten immer die Hoffnung gab. "Ich werde nie vergessen, dass verspreche ich. April." wieder nannte er ihren Namen, wobei er seine Worte dabei in ihre Schulter hinein sprach. Leise wiederholte er ihren Namen, die Augen geschlossen. Mit jedem Mal, wie er ihren Namen aussprach, schien sich sein Körper ein Stück mehr zu entspannen und die grausame Zeit um sie, immer mehr in den Hintergrund zu rücken. Da war nur noch sie.

immer wieder hörte sie, wie er ihren Namen murmelte. Jedes Mal streifte sein Atem dabei ihre Haut, während sich seine Arme enger schraubten. April brauchte ihre Arme nun nicht mehr, um sich zu stützen oder festzuhalten. Stattdessen schoben sich ihr Hände über seine Brust und schließlich über die starken Schultern, um sich in seinem Nacken erneut zu treffen. Sie konnte es kaum fassen. Er war tot gewesen. Sie hatte eine Leiche anflehen müssen. Und nun hielt sie ihn in den Armen. Jedes Wort, jeder Atemzug von ihm war eine Erleichterung, war eine Angst weniger, war eine Bestätigung. Er war bei ihr. Doch war es nicht genug. Sie sehnte sich so verzweifelt nach ihm, nach all der Zeit der Leere. Es wuchs die Angst ertappt zu werden oder ihn erneut zu verlieren. War sie endlich bereit ihn zu beschützen? Schützend schraubten sich ihre Arme enger. Sie hatte nie gedacht, dass sie ihn noch einmal berühren durfte. Jetzt in seinen Armen zu liegen fühlte sich richtig und dennoch falsch an. Man würde ihn ihr wegnehmen; wieder und wieder. Alarmiert reckte sie den Kopf bei diesem Gedanken. Sie musste sich alles von ihm einprägen. Sie wollte ihn ansehen, jeden Zug, jede Regung von ihm einfangen. Gleichzeitig musste sie befürchten, dass er sie daraufhin loslassen würde. Vielleicht würde er sogar wieder die Mauer aufbauen und sie Stein für Stein von ihm trennen. April wollte nicht, dass dieser Alptraum von vorne begann. Allein bei dieser Vorstellung begann sie erneut stärker mit Schluchzen und drückte sich fester an ihn. "Lass mich nicht allein.", winselte sie. "Bitte lass mich nie wieder allein."

"Das könnte ich nicht noch einmal." wäre die wahrheitsgemäße Antwort auf ihre Frage und dennoch konnte er sie nicht aussprechen. Sie beiden wussten wie zerbrechlich diese gemeinsame Zeit war. Wie dünn das Seil war, auf welchem sie von nun an in der schwindelnden Höhe balancieren würden. Er wollte ihr aus tiefsten Herzen versprechen, dass er ab jetzt wieder an ihrer Seite sein würde, doch das wäre gelogen. Er durfte nicht, dass würde sie nur ein weiteres Mal in Schwierigkeiten stürzen und wieder wäre er an ihren Schmerzen schuld. Und ehe sich der Mann versah, war die Zeit abgelaufen, in welcher seine erlösende Antwort erklingen sollte. Sein Gesicht drehte sich ihrem Hals zu, an welchem sich nur wenige Sekunden darauf, seine Lippen legten. Trotz dieser kalten Betonmauern, dieser Finsternis und der Fremde, hatte April ihren betäubenden Duft behalten. Seine Lippen rutschten ein paar Zentimeter höher, wieder ein Kuss. Dazwischen erklang sein Gebet erneut: einzig und allein ihr Name. Der Schwarzhaarige behielt weiterhin die Augen geschlossen und das Gesicht auf engstem Raum, an ihren Körper gepresst, als nun seine Forderung erklang. Sie musste unheimlich banal und vielleicht auch unpassend klingen, doch war sie doch etwas, was nur sie allein machen konnte. In all der Zeit, in welcher er zwischen Schmerzen und Dunkelheit hin und her stolperte, hatte er doch immer nur auf etwas gewartet. Es hätte nur ein einziges Wort genügt, nur mit ihrer Stimme. Denn auch wenn es ihn an das Institut band, so band es ihn nur noch mehr an April. "Bitte, sag meinen Namen."

Die Stille seinerseits sprach Bände. Es war zu viel verlangt, das wusste sie. Tief in ihrem innersten wusste April, dass es keine Antwort auf dies sinnlose Flehen geben durfte. Sie zuckte zusammen, als sich seine warmen rauen Lippen auf ihren Hals setzten. Bis vor kurzem hatte sich all ihre Hoffnung, all ihr Bitten und Flehen nur durch den verblassenden Geruch seiner Jacke und einer einzelnen kurzen Berührung begründen lassen. Es war alles, was sie hatte. Nun kam er ihr so nahe und es war ungewohnt und befremdlich. Seine Nähe war für Sekunden mit einem Mal erschreckend, doch sie war auch echt. Sie weckte so viele Sehnsüchte in April, so viele Träume und Wünsche, die sie längst aufgegeben hatte, weil eine einfache Berührung das einzige gewesen war, dass sie noch erwarten konnte. Verzweifelt presste sie die Lippen aufeinander. Wieso ließ sie all das immer wieder stärker weinen? Sie wollte ihren Welpen sehen können, seinen beruhigenden Duft in sich aufnehmen und seine weiche Stimme hören können, doch ihre Nase war zu, die Augen von Tränen verschleiert und ihr Schluchzen zu laut. Trotzdem vernahm sie kurz darauf seine Bitte. All ihre bisher gesagten Worte erschienen der Rothaarigen plötzlich so sinnlos. Es war nur vergeudete Zeit. Noch ein wenig länger ließ sie die Stille anhalten, bevor sie sich näher an sein Ohr beugte und dessen Rand einen zittrigen Kuss aufhauchte. "Arved", flüsterte sie seinen Namen schließlich und strich kurz durch sein dunkles Haar. Es würde niemand hören können, außer ihnen beiden, und daran würde sie festhalten. Langsam hob sie den Kopf und lehnte ihn ein wenig zurück, damit genügend Abstand entstand um ihn anzusehen.

Als sein Name mit ihrer Stimme erklang, hatte der junge Mann die Luft angehalten und die Augen geschlossen. Als könnte er damit diesen Augenblick festhalten, einschließen und immer wieder aufrufen. Aufrufen, in Momenten wo er glaubte seinen eigenen Namen nicht mehr zu kennen, nur noch ein verschwommenes Ziel, welchem er blind und kraftlos folgte. Vielleicht war es auch eine Art Ruf für ihn, einer der in zurück an ihre Seite holte. Ein unausgesprochenes Versprechen, diese Position niemals wieder verlassen zu dürfen. „Danke.“ formten seine Lippen tonlos. Mit diesem Wort öffneten sich seine zweifarbigen Augen wieder und sahen in das Gesicht, was er sich immer ersehnt hatte, wenn er die Augen geschlossen hatte. Der Moment, wenn sie vor ihm stehen würde, sobald er die Augen öffnen würde. Sie würde ihn anlächeln, ihm einen kurzen Kuss geben und einen guten morgen wünschen. Vielleicht würde sie auch nachfragen, was er geträumt hätte, doch wie könnte er sich daran noch erinnern, wenn er sie einmal angesehen hatte? Er würde ganz sicher nur lächeln und sie auf die zarten Lippen küssen. Die Vorstellung verschwamm immer mehr und wurde von dem dunklen Raum verdrängt, in welchem sich der schwarzhaarige befand. Nur hatte der Traum und die Realität etwas gemeinsam. April stand vor ihm. Auch wenn sie nicht lächelte, sondern stattdessen schluchzte, hatte gerötete Wangen und Tränen verhangene Augen, und dennoch leuchtete sie in all der Dunkelheit. Endlich konnte er es ihr nach all der Zeit wieder sagen. Nachdem er sich so oft Vorwürfe gemacht hatte, dass er es ihr gar nicht genügend gesagt hatte.Aus Angst, er hätte keine Gelegenheit mehr, es ihr noch einmal, ein letztes Mal zu versichern.
Fast schon der Umgebung entrückt, legte sich ein Lächeln auf die Lippen ihres Gegenüber und auch in seinen Augen konnte man Spuren von Tränen erkennen, als er den Satz begann. „Ich...“ weiter kam er nicht. Dann schloss er sie auch bereits wieder in die Arme und drückte sie fest an sich. „Ich liebe dich, Arpil.“ kam es ihm endlich über die Lippen. Unbewusst schüttelte er den Kopf, während seine Arme drohten das rothaarige Mädchen zu zerdrücken. „Ich wollte es dir so oft sagen und konnte es einfach nicht. Ich konnte dich einfach nicht mehr erreichen. Doch ich-“ wieder brach er den Satz ab, schluckte und beendete ihn kurz danach wieder. „habe dich die ganze Zeit so sehr geliebt. Es macht mich verrückt, die zu sehen, dich dennoch berühren zu können. Als stände ich vor einer Glasscheibe und muss dir aussehen.“ seine Stimme wurde leiser, sein Blick glitt zu Boden, ohne das er etwas sah. „Zu sehen, wie du erneut vor meinen Augen verschwindest. Du konntest mich nicht hören, egal wie laut ich rief.“ sein Körper spannte sich an, als die Erinnerungen wieder hoch kamen und sein Kiefer knackte unter den Druck seiner knirschenden Zähne. „Ich liebe dich...“ flüsterte er die drei Wörter in ihr Haar.

Aprils Augen weiteten sich, bevor Arved sie bereits wieder fest an sich drückte. Ihr Herz schlug nun so laut und stürmisch, dass die Rothaarige inzwischen Angst darum hatte, wie lange sie sich noch auf den Beinen halten würde. Es waren diese drei kleinen Worte, welche die Wärme in ihrem Körper aufkochten und alles durcheinander brachten. Machtlos stellte sie fest, dass sie lächelte und im nächsten Moment entfuhr ihr ein erleichtertes Lachen, welches sie über sich selbst erschrocken mit ihrer eigenen Hand erstickte. Über die absurde Tatsache, dass er sie so leicht vor all der Dunkelheit retten konnte und ihr das einzige Lachen seit Monaten entlockte, brach sie nun erneut in Tränen aus. Sie bekam kaum noch Luft zwischen all den Schluchzern und glaubte in den salzigen Tränen ertrinken zu müssen und doch konnte sie es nicht beenden. Ihre Arme versuchten sich immer fester um Arved zu schrauben und ihn fest zu halten, als sie wieder an den Traum dachte, der sie an diesem Tag zu ihm geführt hatte. Sie war an all dem Schuld, sie hatte ihm das angetan, und er liebte sie trotzdem, er hatte nie aufgehört sie zu lieben. Sie hatte geschworen, ihn mit all ihren Kräften zu beschützen. Schluchzend presste sie ihre Lippen auf seine Schulter, als könnte sie mit diesem Kuss alles entschuldigen. Sie war daran Schuld. Verzweifelt drückte sie ihre Lippen zu einer weiteren Entschuldigung an seinen Hals, in sein Haar, auf sein Ohr; auf alles, das sie erreichen konnte, um es wieder gut zu machen. Es war alles, was sie ihm noch geben konnte; ungesprochene Entschuldigungen ihrer spröden Lippen für ein Heil, das sie nicht bringen konnte. Immer und immer wieder küsste sie ihn, zog ihn fester an sich, winselte entschuldigend seinen Namen. Ab jetzt konnte jede Tat ihre letzte sein.

Arved hatte für den Moment ihrer Küsse die Augen geschlossen. Dort wo ihre Lippen ihn streiften, hinterließ sie eine lang vermisste Wärme, nach welche er sich so gesehnt hatte. Seine Arme hatten sie in der ganzen Zeit kein einziges Mal los gelassen, dafür war die Angst zu groß, dass sie daraufhin verschwinden würde zu groß. Schuldbewusst öffnete er die Augen. Das Winseln von April schnitt sich tief in seinen Körper und dennoch wusste er um seine Geringen Chancen sie aufzuhalten. Sie hatte allen Grund dazu, nach all der Zeit und doch schmerzte die Verbindung mit dem Schluchzen und seinem Namen. Überrascht musste er feststellen, dass sich seine Hände vorsichtig auf ihre Schultern gelegt hatten und sie so ein Stück von sich geschoben hatte, wenn auch nur so weit, dass er ohne Probleme seinen Kopf nun gegen ihren lehnen konnte. Der Mann biss sich flüchtig auf die Unterlippe, betrachtete den Boden vor sich, während sein Mund begonnen hatte einen egoistischen Wunsch zu äußern. es gelang ihm nicht gleich beim ersten Versuch, zu groß war die Angst vor ihrer Reaktion. Es fühlte sich an, als wäre der Wunsch nicht fair oder gar unpassend. Zu viele unnötige Gedanken kreisten in dem Kopf des Schwarzhaarigen, ohne dass auch nur einer plausibel klang. "April..." begann er, ohne den Satz daraufhin zu beenden. Durfte er wirklich? Er bezweifelte, dass er nun dafür noch geeignet war, wenn er sich derart Gedanken für eine doch so banale Angelegenheit machte. Nur schien es ihn diesem Augenblick nicht länger so banal. Nach einem tiefen Atemzug versuchte er es erneut. "April, darf ich," nun hoben sich seine Augen und er sah sie direkt an. "darf ich dich küssen?"

Da die Tränen nun einmal ins Rollen geraten war, fiel es schwer sie wieder zu stoppen. Erst als ihren verzweifelten Küssen durch Arved Einhalt geboten wurde, kehrte sie aus ihrem tranceartigen Zustand zurück. Die Gefühle überforderten sie. Im schummrigen Licht der Kammer trafen ihr größtes Glück und ihr schlimmstes Leid zusammen und brachten sie um den Verstand. Hilflos presste sie die Lippen aufeinander, um die Schluchzer endlich enden zu lassen, doch bekam sie daraufhin kaum noch Luft durch die verstopfte Nase. Ihr unterdrücktes Schluchzen wechselte sich daraufhin mit ständigen schweren Atemzügen ab. Sie konnte Arved nicht einmal ansehen, so sehr schämte sie sich für ihre Haltlosigkeit. Es war einfach zu viel geschehen, um sein Auftauchen nur hinzunehmen. Er hatte so viel erleiden müssen wegen ihr. Sie glaubte, ihn für immer verloren zu haben und jetzt- "April...", seine Stimme endete jeden Gedanken. Weinend schüttelte sie den Kopf über sich selbst und ihre Finger ließen von ihm ab. Sie schniefte und wischte sich über das nasse Gesicht, obwohl sofort neue Tränen folgten. In ihrer Ausweglosigkeit drückte sie sich die Hand auf den Mund, um die vielen Laute zu dämpfen. Er sollte weiter sprechen. Sie wollte seine Stimme hören, alles was sie wollte war es, seine STimme zu hören. Und doch überraschten seine Worte sie. Kurz hielt die Rothaarige inne. "Dass du das überhaupt fragen musst...", murmelte sie mit brüchiger Stimme, bevor sie den Blick hob. Sie verstand nicht einmal wie er überhaupt noch Lust haben konnte, dieses rote aufgedunsene Gesicht zu küssen. In dem Moment, wo sich ihre Blicke jedoch trafen, brach sie erneut stärker in Tränen aus. Wieder einmal kämpfte die Freude, ihn zu sehen, gegen das unausweichliche Schuldgefühl, der Auslöser für all das Leid zu sein. Es war das goldene Auge und seine rote Narbe, die sie an ihre Schuld erinnerten. Es war beinahe, als wäre ein Teil von ihm nun Gideon, als wären sie nicht allein, als könnte er Arved damit kontrollieren. Das Mädchen zitterte am ganzen Körper, es bebte und schluchzte, doch versuchte es dem Blick stand zu halten. "... wenn du mich noch küssen willst...?", brachte sie schließlich kleinlaut hervor und wischte sich erneut übers Gesicht.

Ein sanftes Lächeln zog sich über die Lippen Arveds. „Natürlich will ich.“ Er fuhr mit seinen Händen ihren nassen Wangen entlang und wischte behutsam mit dem Daumen die nachkommenden Tränen weg. „Wie könnte ich nicht wollen. Immerhin,“ seine Augen blitzten verlegen auf. „Liebe ich dich doch.“ Liebevoll betrachtete er das Mädchen, was selbst zwischen all den Tränen zu einer jungen Frau herangewachsen war. Er konnte die Erleichterung bei ihrer Antwort nicht leugnen. Er war sich bewusst, das sie das gleiche fühlte wie er und dennoch hatte die Unsicherheit in ihm Besitz genommen. So lange war es her, dass er sie berührt hatte. Die alten Stellen sind bereits kalt geworden. Er bildete sich ein, ihre Wärme verloren zu haben, vielleicht sogar drohte zu vergessen; und doch lag sie in seinen Armen. Seine Hände umfassten immer noch ihren Kopf, während er nun seinen Kopf nach vorne beugte. Doch statt ihre Lippen zu treffen gab er ihr einen kurzen Kuss unter ihr Auge. Es schmeckte salzig, als er ihre Tränen damit aufnahm. „Hör bitte auf mit weinen.“ bat er, das Lächeln immer noch auf den Lippen. Nun tat er das gleiche an ihrem anderen Augen. „Ich weiß, dass du allen Grund dazu hast, doch,“ er positionierte sein Gesicht wieder ihrem gegenüber. „Möchte ich nicht, dass du weinst, während ich dich seit so langer Zeit endlich wieder küssen darf.“ sprach er seinen egoistischen Wunsch aus. Doch auch wenn er ihn aussprach und auch so meinte, so besaß er gar nicht die Willensstärke auf ihre Antwort zu warten. Vorsichtig, beinahe prüfend, beugte er sich erneut nach vorne. Dabei hatte er seine Augen die ganze Zeit auf ihre gerichtet, erst wenige Zentimeter vor ihren Lippen, senkte sich sein Blick auf diese. Noch ein paar Sekunden hatte er es aushalten können, dann erfüllte er das, welches sie ihm gerade erlaubt hatte. So lange hatte er sich nach einem Kuss von ihr gesehnt und endlich legten sich seine Lippen auf ihre, während er innerlich den Atem anhielt.

So gerne sie Arved seinen Wunsch erfüllt hätte, die Tränen aufzuhalten vermochte April nicht. Auf seine Bitte hin presste sie erneut die Lippen zusammen und nickte immer wieder, um ihm zumindest ihren Willen zu beweisen. Sie brachte sowieso kaum mehr ein Wort hervor und ihre Gedanken waren zu unsortiert um die richtigen Antworten zu finden. Ihr Schluchzen hielt an bis zu dem nervenaufreibenden Trommelwirbel vor ihrem Kuss. April versuchte jeden Ausdruck seines Gesichts zu erfassen - teils fasziniert, teils ungläubig, teils angespannt. Es war das erste Mal, dass nicht ein Laut es schaffte, ihrer Kehle zu entweichen, obwohl noch immer Tränen die Wangen hinab rollten. Dann senkten sich seine Lider und ihre Lippen trafen aufeinander. Seine Lippen waren ganz rau und doch schoss die Wärme in ihr hoch, als hätte man ihr sanft eine warme Decke um die Schultern gelegt. Trotzdem schaffte April es nicht dieses kribbelnde Gefühl vollends zu genießen, seitdem sie ihm in die Augen geblickt hatte. Wieder fiel ihr Blick auf die noch frische Narbe. Sie hatten ihm ein Teil seiner Selbst genommen und nun war es auch Gideon, der sie ansah, der ihren Kuss erlebte. Zögernd öffnete die Rothaarige die Lippen, während sie die kaputte Haut betrachtete. Sie wollte ihn dennoch küssen, nur... Nur nicht so. Vorsichtig legte sie die Hände an die Seite seines Gesichts und erwiderte seinen Kuss noch etwas entschiedener, während sich langsam eine Hand über das goldene Auge schob. Sie wünschte sich, es wäre weniger auffällig gewesen, aber das konnte sie nicht erwarten - doch nun konnte sie endlich ihrem klopfenden Herzen nachgeben, die Augen schließen und um viele weitere Küsse bitten.

Sie hatte ihm sanft die Sicht auf seinem rechten Auge genommen und dennoch löste sie damit ein Stechen aus, tief in seiner Brust. Er hatte sich selbst nur ein einziges Mal richtig sehen können, den Mann, den Gideon innerhalb der letzten vier Monate geschaffen hatte. Nachdem er aus dem künstlichen Schlaf erwacht war, hatte der Weißhaarige Mann ihm einen Spiegel vorgehalten, vor freudig auf seine Reaktion. Doch fiel diese unerwartet nüchtern aus, denn zu diesem Augenblick war Arved beinahe blind gewesen. Sein rechtes Auge schmerzte bei jeder Bewegung, sodass er es am liebsten zugepresst hätte, währenddessen hatte sein linkes Auge versucht die Blindheit auf dem rechten Auge auszugleichen, sodass es sich anpasste. Es dauerte zwei Wochen, bis die verschwommene Welt um ihn herum immer klarer wurde, auch das erste Treffen mit April hatte in diesen Wochen gelegen. Er hatte sie kaum erkennen können und hatte dennoch unter Schmerzen versucht seine Sicht endlich wieder zu schärfen. Gideon hatte immer wieder geprüft wie scharf der Hund sehen konnte und als es endlich erfolgreich war, hielt er ihm erneut einen Spiegel vor das Gesicht. Nur war es für Arved mehr wie ein Bild einer fremden Person, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Auf der linken Seite war das kalte Blau von Hodge, was ihn streng an seine Vergangenheit erinnerte, daneben leuchtete das höhnische Golde Gideons, was ihn in jeder Situation auslachte. Auch April schien das Lachen gehört zu haben, warum sie es nun versteckte. Und doch versteckte sie damit nun einen Teil von ihm. Das war das Geschenk von Gideon an ihm, nun gab es auch an ihm etwas, was April abgrundtief hasste, da es sie verfolgte. Er selbst würde sie stets daran erinnern, worunter sie leiden musste. Sie würde ihn nie wieder so lieben können wie zuvor, denn nun war sein Gesicht nicht länger das seine.
Während all dieser wirren und schmerzenden Gedanken, hatte Arved das zarte Mädchen enger an sich gezogen und die Augenbrauen verkrampft zusammen gezogen. Er hatte seinen Blick gesenkt. Auch wenn seine Gedanken weit weg waren, so tat er alles daran immer wieder zu dem Kuss zurück zukehren. Zurück zu ihr. Der Kuss erhielt einen bitteren Beigeschmack. Den Geschmack von Angst. Innerlich lachend musste der Schwarzhaarige feststellen, dass es die Angst davor war, sie erneut zu verlieren. Aber nicht, weil sie ihm jemand aus den Armen entriss, sondern weil sie sich seiner Umarmung winden würde, unfähig ihn anblicken zu können. Sie würde ihn verlassen, weil sein Anblick nicht mehr der gleiche war. Sein eigener war nur noch ein Schatten, welcher von zwei Männern eingesperrt wurde, die April hasste und vor ihnen floh.

Immer und immer wieder trafen sich die Lippen für einen weiteren Kuss. Jeder Kuss Aprils wurde dringlicher und leidenschaftlicher, als wäre es die einzige Chance ihren Welpen bei sich zu halten und ihm die Liebe zu schenken, die ihm zustand. Noch immer glaubte das Mädchen nicht daran, dass es genug bewiesen hatte, wie sehr es den Beschützer liebte, und noch weniger glaubte es, sich seine Liebe verdient zu haben. Trotzdem fühlten sich seine Küsse anders an als zuvor. Die Rothaarige konnte nicht klar zuordnen, was genau anders war, wieso sich diese Küsse dennoch befremdlich anfühlten, obwohl sie ihr Herz zum rasen brachten. Bitterer wurden die Küsse, als sie erkannte, welch Eigenleben ihre Hände entwickelt hatten, um diesen Kuss für sie erträglich zu machen. Wieso tat sie ihm das an? Im selben Moment schlug April die Augen auf und zog erschrocken ihre Hand zurück. Gleich darauf entzogen sich ihre Lippen den seinen. Für wenige Sekunden, die ihr vorkamen wie eine schmerzhafte Ewigkeit, sah sie das beinahe fremde Gesicht an, entsetzt von sich selbst, erst danach ließ sie die Hand langsam sinken und senkte beschämt den Blick. "Ich habe dir das angetan...", murmelte sie. "Verzeih... Ich habe dir das angetan... All das... All den Schmerz." Sie nagte auf ihrer Unterlippe, während ihr Blick unablässig auf dem Boden hin und her jagte. Sie neigte den Kopf etwas nach vorne, ihm entgegen, aber tiefer zu Boden. "Du küsst mich, aber du musst mich doch hassen." Wieder tropften die Tränen zu Boden. "Du küsst mich, obwohl ich dir weh getan habe und ich tu dir wieder weh. Wieso tu ich das?"

Arved sah ihr bei ihren eigenen Kampf zu lange zu, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Viel zu spät streckte er den arm nach ihr aus, um sie sanft an der schulter zu berühren. "Du hast mir keine Schmerzen zugefügt. Das hast du nie und das wirst du auch nie." er versuchte zu lächeln. Ein Lächeln welches er ihr schenkte, damit sie bei ihrem endlichen Treffen nicht in ihren Tränen ertrank, und um seine Lüge für sich selbst erträglicher zu machen. Doch, es hatte geschmerzt, als sie die Hand gehoben hatte, als dies ihre erste Tat war, nachdem er sie endlich wieder küssen konnte und durfte. "Viel mehr habe ich dir viel zu lange Schmerzen verursacht. Du hast bestimmt sehr leiden müssen." bei diesen Worten glitten seine Augen flüchtig über ihren dürren Körper, der ebenso wie seiner von den schlaflosen Nächten zeugte. Ob sie geschrien hatte? Bestimmt, es musste unheimlich weh getan haben. "Hast du mich in der ganzen zeit nicht eher gehasst? Es müsste doch genau anderes herum sein." Langsam zog er die Hand zurück, ließ sie fallen, ehe er ihr wieder in die Augen sah. Sehr wohl bewusst, mit welchen Augen er sie nun betrachtete. "Für mich warst du stets der Grund nicht auf zugeben. Den Verstand zu behalten und immer wieder aufzustehen. Doch was wäre wenn ich einfach nachgegeben hätte? Dann hättest du nicht so viel leiden müssen, dann hätte es früher geendet." Sanft fuhr sein Daumen über ihre Wange, um wenigstens eine von den salzigen Tränen zu befreien. "Warum hasst du mich nicht, dafür, dass ich dir gefolgt bin? Dass ich mich fangen ließ und der Grund dafür bin, dass du so leiden musstest?" Warum konnte er so einfach zu ihr zurückkehren, ohne das sie ihm irgendwelche Vorwürfe entgegenbrachte. Sie hatte so lange vor der Mauer gestanden, versucht zu ihm durch zu dringen, doch er hatte alles daran gegeben, dass sie nicht zu ihm konnte. War sie es denn nicht leid? Wurde sie nicht langsam seiner Unfähigkeit müde?

"Wie sollte ich dich hassen?", murmelte sie und schüttelte leicht den Kopf. Noch immer schaffte sie es nicht gefühlsfrei, in diese fremden und doch vertrauten Augen zu blicken. Trotz seines Lächeln fühlte sich ihr Handeln nicht besser an. Wieder musste April an die Zeit in der dunklen Zelle zurück denken. Es war schrecklich, aber sie hatte immer geglaubt, dass es die gerechte Strafe für ihr sinnfreies Handeln war - das Handeln, welches Arved das Leben kostete. "Ich habe oft mit dir gesprochen...", begann sie zusammenhanglos unter Tränen. "Ich habe einfach in die Leere gestarrt, deine Jacke im Arm und einfach geredet als könntest du mich hören, selbst wenn du tot wärst. Ich habe mir fest gewünscht, dass du auf mich wartest bis ich dir folge." Der Rüchblick daran ließ sie auflachen. Ihr Lachen war eisig und in ihm lag all der Schmerz, den sie bei dieser Erinnerung verspürte. "Dich hätte ich nie hassen können, so sehnlich wie ich dich vermisst habe. Alles was ich wollte, war bei dir zu sein. Ich habe Liron darum gebeten mich zu töten, mehrmals. Er hat es nicht getan. So oft habe ich von deinem Tod geträumt und mir gewünscht, dass ich an deiner Stelle gestorben wäre, doch dass du plötzlich vor mir standest...", die Rothaarige brach ab. Für dieses Erlebnis fand sie keine Worte. Wieder nur das sinnlose Kopfschütteln, welches die unfindbaren Worte ersetzen sollte. "Ich habe dich so vermisst... Ich vermisse dich immer noch, denn es ist zu wenig Zeit, die wir haben, nicht wahr? Wir werden uns heute wieder trennen müssen und uns vielleicht lange nicht wiedersehen. Und du wirst vielleicht die Mauer wieder aufbauen - was weiß ich." Tief holte sie Luft, um Mut für die nächsten Worte aufzubringen. "Die Wahrheit ist, dass ich dich nicht retten kann und dich wohl auf ewig vermissen werde, da die Zeit, die wir haben, immer kürzer sein wird als alles andere und wenn ich daran denke, schmerzt es erneut." Mit dem Ärmel ihres Oberteils wischte sie sich undamenhaft Tränen und Rotz aus dem Gesicht. Wieso erzählte sie ihm all das überhaupt? Für diese Worte gab es keinen richtigen Zeitpunkt und genauso wenig ergab es Sinn, sie nun zu sagen. Ihr Blick fixierte nun das goldene Auge und dann die Narbe darunter. "Wenn... Wenn du mich durch diese Augen, trotzdem man dir einen Teil deiner selbst geraubt hat, noch immer so sehen kannst wie zuvor, dann ist es mir egal - dann ist mir einfach alles egal. Ich kann nie wieder gut machen, was sie dir angetan haben. Ich kann nie wieder die Zeit zurückholen, die du bei mir hättest sein sollen. Ich kann.. -" Wieder unterbrach sie sich selbst. Sie redete und redete, quatschte sich um Kopf und Kragen. Wieder machte sie dumme Versprechen, erzählte durchgekaute Geschichten, wenn sie doch eigentlich mit Taten alles ändern könnte. Ein weiteres Mal befreite sie mit dem schmuddeligen Ärmel ihr Gesicht von neuen Tränen, bevor sie vorsichtig die Hände an Arveds Gesicht legte und ihm einen kurzen zärtlichen Kuss auf die Lippen gab. "Ich verpasse mit dummen Gedanken zu viele Chancen, dich zu küssen..", gab sie nahe seinen Lippen leise zu, ohne ihn loszulassen. Ein unruhiger Blick zu seinem neuen Auge genügte und sie gab dem Schwarzhaarigen einen weiteren Kuss, der ihr die Angst nehmen sollte.

April gab Arved keine Chance auf ihre Worte reagieren zu oder gar etwas erwidern zu können. Stattdessen schnitt sie ihm die Luft mit ihren Lippen ab. "Du musst mir keine Zeit zurück geben." beeilte sich der Schwarzhaarige zu sagen, nachdem er nach ihrem Kuss wieder Luft geholt hatte. "Ich brauch sie nicht. Was sie auch hätte bewirken können, ist mir völlig gleich. Solange ich weiß, dass du nun in greifbarer Nähe bei mir bist." Langsam legten sich seine Hände auf ihre Hüfte, den Blick dabei intensiv in ihren tiefen Augen vergraben. Er konnte unmöglich das Gefühl abschalten, dass er die Augen von ihr abwenden sollte, damit sie nicht in das von Gideon sehen musste, doch er musste sie nun so ansehen. Er musste diese Worte sagen. Mit diesem Gesicht, nach dieser Zeit, mit diesen Augen, mit diesen Narben. "In der vergangenen Zeit habe ich nur an dich gedacht. dein Lächeln, deine Stimme, dem Gefühl durch deine Haare zu streichen, dein Geruch, die Wärme, wenn du mich berührt hast. Der Klang wenn du gelacht oder geweint oder geschrien hast. Die Wut und die Enttäuschung in deinen Augen, bevor du gegangen bist. Ich habe mir alles immer wieder vor Augen geführt, was ich an dir liebe und was ich in diesem Augenblick vermisste. Du warst also die gesamte Zeit an meiner Seite, hast mir die Kraft gegeben immer wieder aufstehen zu können." Arved hob die linke Hand und befreite April's Stirn von einer roten Strähne. Langsam verfolgten seine Finger den Verlauf des Haares, wobei ihnen dabei seine Augen verträumt folgten. "Als du weg warst, habe ich in deinem Zimmer gewohnt. Ich war jede Nacht, in der Hoffnung, du würdest eines abends dort auf mich warten. Wie ein ausgesetzter Hund." ein versunkenes Lächeln beherrschte seine Lippen, die Augen immer noch auf ihr feuerrotes Haar gerichtet. Es hatte in all der Zeit nicht an Intensivität verloren. Sien ganz persönliches Feuer und Wärmespender. "Ich liebe dich. Solange ich dich sehen kann und nach dir greifen kann, brauche ich keine Zeit geschenkt. Ich brauche nur dich." Seine Finger hielten den letzten Teil einer Haarsträhne fest und hoben sie zu seinem Gesicht. "Du kannst mich so oft küssen wie du willst. Strecke ruhig deine Hand nach mir aus und berühre mich. Ich gehöre dir, mit allem was ich habe, daran wird sich nie etwas ändern. Und genau das, ist alles was ich mir je erträumen kann." Arved sog den Duft ihrer haare ein, welche er nun kurz vor seiner Nase und seinen Lippen hielt. Ja, so war der Duft seines Zuhause.