Nicolas:
Wieso war sie auf einmal so interessiert an mir... Naja, mir sollte es recht sein, oder? "Nun ja... Was soll ich denn noch erzählen?", fragte ich und kratzte mich nachdenklich am Kopf. Wieso erzählte sie nicht einfach etwas? "Erzähl mir etwas von dir...", sagte ich geheimnisvoll und kam ihr näher. Es hätte nur noch gefehlt, dass ích ihr wie ein Vampir am Hals mit meinen Fingern entlang gestrichen hätte. Merkwürdiger Weise tat ich das auch. Ich strich ihr mit meinen langen Fingern die Halsschlagader entlang. Diese Vampirmasche war schon zur Angewohnheit geworden.

Nicolas:
Ich hätte nicht gedacht, dass sie zur Ehefrau ausgebildet worden war. War das nicht eine kranke Methode? Machten das etwa mehrere Frauen? "Wie darf ich denn das verstehen?", hakte ich nach, doch anscheinend wollte sie mir nichts weiter erzählen. Immer wenn der Satz 'Ich bin langweilig' kam, munterte ich die Frauen auf und meinte:' Nein, das glaube ich nicht...' Doch in diesem Fall tat ich das nicht. Ob das daran lag, dass ich sie heiraten musste, oder es daran lag, dass ich sie nicht unbedingt mochte. Ín gewisser Weise tat sie mir leid. Meine Eltern mochten sich vermutlich auch nicht gerade, dennoch hielten sie zusammen und arbeitetem miteinander. Sie hasstem sich nicht. ch bemerkte, wie schlimm die Geschichte werden könnte, wenn wir auch Kinder haben würden. Ich stellte mir vor, wie sich Ravenna und ich uns am Esstisch gegenseitig wütend anschrien, nur dass im Unterschied zu heute zwei Kinder mit uns am Tisch saßen. So konnte es nicht weiter gehen. Entweder wir mussten uns vertragen, oder wir konnten keine Kinder zur Welt bringen. "... so kann das doch nicht weiter gehen...", murmelte ich.

Nicolas:
Mit 'DAS' hatte sie sicher mich gemeint. Betroffen schaute ich nach unten. Was sollte ich nur sagen? Ich war ratlos. So richtig ratlos. Ich konnte nicht mehr gerade herumstehen, so wie sie es gelernt hatte. Ich zog den Mantel aus und ließ ihn zu Boden fallen. Außerdem war der Ledermantel mit seinem blutrotem Innenfutter zu warm gewesen, das graue, langärmelige Nachthemd war schon warm genug. Zum Glück waren einige Knöpfe aufgenöpft. Man konnte ein wenig von meinen Schlüssekbeinen sehen. Hätte uns jemand hinterherspioniert, wären jetzt sicher schon viele Gerüchte im Umlauf. Schrecklich wie schnell diese Gerüchte ihren Lauf nahmen... Anstatt Ravenna zu antworten ließ ich mich auf ihr Bett fallen und seufzte.

Nicolas:
"Da hast du Recht...", murmelte ich, denn ich wollte sie nicht beim Geige spielen stören. Wie würden meine Kinder wohl aussehen? Würden sie auch lila-farbene Augen von Ravenna vererbt bekommen? Oder würden sie meine pechschwarzen Haare bekommen? Schwarz, pechschwarz. Schwarz. Alles in meinem Leben war schwarz. Das Requiem erinnerte mich immer wieder daaran. Es war mein Lied. Meine Melodie. Würde man ein Theaterstück aufführen, in dem ich eine Rolle spielte, so würde man jedes mal, wenn ich die Bühne betrat, das Requiem spielen. Gefiel ihr diese Komposition? Ich sah ihr verträumt zu. Die Geige gehörte zu ihr. Ich hörte genauer hin: Der Klang der Geige gehörte zu ihr und das machte das Lied zu ihrem Stück. Es hörte sich ganz anders an wie am Klavier. Viel sanfter und liebevoller. Sie wäre sicher eine gute Mutter.

Nicolas:
Das war die Einstellung, die alle Frauen dieses Zeitalters hatten und auch haben sollten. Ich sah ihr zu. Beeindruckend, dass sie reden konnte und gleichzeitig Geige spielen konnte. Ihr Gerede hörte sich beinahe so an, als wollte sie mich nun doch heiraten. War das, weil sie zwei Sachen gleichzeitig machte, oder meinte sie das ernst? Ich setzte mich auf. Ich musterte ihre Gesichtszüge genauer. Sie war ziemlich entspannt und genoss die Musik, die sie spielte. Hatte sie sich wirklich umentschieden? Wollte sie mich wirklich heiraten?

Nicolas:
Sie war ein guter Mensch. Alles was sie redete... Sie war so selbstlos. Ganz im Gegenteil zu mir. Ich nutzte alles zu meinem Vorteil. Vielleicht konnte ich sie deswegen nicht leiden. Ich konnte sie nicht einfach ausnutzen. Eigentlich war das ja gut, ich wusste nur nicht wie ich damit umgehen sollte... Ich versuchte sie auf mich aufmerksam zu machen. Als sie zu mir sah, klopfte ich mit der rechten Hand auf die Bettdecke. Sie hatte wunderbar gespielt. Ihre Mutter hatte nicht zu viel versprochen. So virtuos wie sie war, wäre ich auch gerne gewesen. Sie hatte sich eine Pause verdient. "Auch wenn ich noch nicht dein Ehemann bin...", begann ich. "Würdest du dich bitte....", dieses Wort kam mir deutlich schwer über die Lippen. Ich bittete selten jemanden und wenn ich es tat dann entweder mit einem verzerrten Lächeln oder gefühlslos. Heute musste das verzerrte Lächeln herhalten... "würdest du dich bitte zu mir setzten?" Meine Frage klang eher wie ein Befehl, aber das war es was mich ausmachte.

Nicolas:
Normalerweise strahlten mich die Mädchen an, wenn sie ein Lächeln von mir bekamen. Sie aber nicht. Ich rückte näher zu ihr. Mir fiel ein Vorteil der Ehe ein. Ich würde niemals alleine sein. Ihre Haare waren offen, sie hatte sie nicht zusammen gebunden. Normalerweise trugen alle Mädchen geflochtene Zöopfe und hochgesteckte Frisuren. Ich konnte das gar nicht leiden. Wieso taten sie das? Junge Frauen besaßen so kraftvolles Haar und zeigten es nie. Ich nahm mir eine ihrer dunklen Haarsträhnen und spielte damit. Ihr Haar fühlte sich an wie Seide. Wenn man genauer hinsah, ähnelte sie Schneewittchen ein wenig. Sie war blass, ihr Haar hatte beinahe die Farbe von hellerem Ebenholz und ihre Lippen waren... blutrot. Meine Lieblingsfarbe. Schnell kam ich wieder zu mir und sah ihr in die Augen. Was sollte ich nun sagen? "...du bist wunderschön...", flüsterte ich. Warum?!

Nicolas:
Ich nickte zurückhaltend und schaute wieder in ihre Augen. Vorsichtig legte ich ihre Haarsträhne zurück. Sie verstand mich nicht und ehrlich gesagt hatte sie damit Recht. Ich verstand mich selbst nicht. Empfand ich etwas für sie? War es etwa Mitleid? Doch warum? Ich verstand mich selbst nicht mehr. Sie veränderte mich. Sollte ich mich zurückhalten? Würde ich nicht bald aufhören, dann würde sie sicher schreiend aus dem Zimmer rennen... Aber sie konnte mich doch nicht allein lassen! Das war es. Mein Fluch. Ich konnte nicht allein sein. Mein ganzes Leben hatte man mich alleine gelassen. "Lass mich nicht allein", flüsterte ich automatisch. Was war nur mit mir los?