Kyle
Besorgt blicke ich nach draußen. "Mira, es regnet in Strömen! Warte, nimm die hier." Ich streife mir die Lederjacke von den Schultern und lege sie um ihre Schultern. "Das ist meine Lieblingslederjacke." Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. "Hör zu, die will ich morgen wieder haben. Also, mach dir keine Sorgen um mich. Ich bin hier erstmal ganz gut aufgehoben." Meine Hand findet wieder zurück in meine Hosentasche. Schnell verabschiedete ich mich von Mira, denn sie meinte, sie hätte es eilig. Danach ging ich gelassen wieder in die Boutique zurück und fragte: "Hey Lilly! Sind die Nieten an der Jacke hier aus echtem Gold?"

Kyle
Nachdem ich mir die braune Lederjacke mit den goldenen Nieten und gezwungenermaßen einen schwarzen Regenschirm gekauft habe, ging ich zu Fuß wieder zurück in mein Haus in der Upper East Side. Die großen Räume verbunden mit den wenigen, aber äußerst eleganten Möbelstücken verleihen dem Haus eine mächtige und eindrucksvolle Aura. Ich warf die nasse Jacke und die Schuhe achtlos in die Ecke und lief in mein Atelier. Das Herzstück des Hauses! Er ist darauf ausgerichtet, meine gesamte Konzentration der einwand widmen zu können. Es ist ein riesiger kahler Raum ohne jegliche Möbelstücke. Durch und durch grau. Eine Seite ist komplett aus Glas, aber die Rollläden sind heruntergelassen. Ich schalte die kleine Lampe im Mittelpunkt des Raums ein. Sie erleuchtet sie Stelle, wo eine Staffelei und sämtliche Farben auf einem rustikalen Steinaltar darauf warten benutzt zu werden. Ich schnappe mir einer meiner Synthetikpinsel und beginne mit schwarz zwei geschwungene Linien auf die Leinwand aufzutragen. Mit dem dicken Pinsel wird der Raum zwischen den Linien schwarz wie die Nacht. Etwas weiter oben entsprießt ein Wasserfall, der im Mondlicht lila strahlt und funkelt. Das Wasser versiegt in der Schwärze der Nacht. Mit geübten Handgriffen entsteht über dem Szenario der Mond. Angestrahlt von der Sonne lässt er die Welt in gleißenden Tönen der Nacht erstrahlen. Finster, aber hell. Unantastbar, aber immer da. Bis spät in die Nacht arbeite ich an ihr. Als ich fertig bin, wische ich mir mit den Ärmeln den Schweiß von der Stirn. Gespannt sprinte ich zum Ende des Raumes und klicke auf einen der Schalter. Die Rollläden heben sich langsam und das magische Licht des echten Mondes strahlt in mein Atelier. Ich blicke zwischen Bild und Nacht hin und her und stelle zufrieden fest, dass ich es gut getroffen habe. Mein Verstand sagt mir, dass ich SIE gut getroffen habe. Ein Blick auf meine Rolex und auch mein müder Verstand verraten mir, dass ich schlafen sollte. Dringend. Ich lasse das Bild zum Trocknen wo es ist und lasse mich im Schlafzimmer erschöpft, aber zufrieden in mein Bett fallen.

Kyle
Das Klingeln meines Telefons weckte mich. Früh und äußerst unsanft. Eine Hand suchte nach dem Hörer und zog das Telefon zu mir ins Bett. Verschlafen sagte ich: "Kyle Sherman. Stellvertretender Kunst... Herrgott nochmal wer sind Sie und warum rufen Sie um 5 Uhr morgens hier an?" Am anderen Ende war mein Bruder, auch nicht gerade in bester Laune. "Ich bins-Trevor. Hast du etwa schon vergessen, dass ich komme? Wäre ja nur typisch für dich. Mit deinem dämlichen Rumgepinsle verlierst du jegliches Zeitgefühl. Und offenbar auch dein Gedächtnis." Ich war noch nicht mal richtig wach und schon wettert der Kerl auf mich ein. Unfassbar! Grimmig rief ich in den Hörer: "Was erwartest du von mir? Dass ich die ganze Nacht auf der Matte stehe und warte, bis du endlich vorbeikommst? Irgendwann diese Woche würdest du vorbeikommen, hast du gesagt. Also jetzt mal halblang Kleiner." "Kleiner? Kyle ich bin jetzt 25 Jahre alt, und du bist gerade mal drei Jahre älter, also gib hier nicht den allwissenden großen Bruder!" Ich bekam ja schon Kopfweh bei dem ganzen Gebrüll. "Sachte, sachte, Trevor. Ich übergehe jetzt einfach mal deine Bemerkung über mein "Rumgepinsle" und bitte dich ruhig zu bleiben! Ich hab die ganze Nacht lang "rumgepinselt" und bin hundemüde." Er scheint sich etwas beruhigt zu haben. Er antwortet: "Ja, okay. Tut mir Leid, Kyle. Nur... das macht mich hier alles fertig. Die Kariere an sich. Die vielen Menschen. Die Ansprüche. All das. Meine Agenten wollen mich als den großen Entertainer. Der Spaßmacher eben, wie früher. Aber das bin ich nicht. Schon seit Jahren nicht mehr. Das wäre nicht mehr ich." Ich sitze inzwischen senkrecht im Bett und reibe mir die Augen. Jetzt fängt er wieder an rumzusülzen! Ich versuche ihn abzulenken. "He, Trevor. Ich geh ein bisschen nach draußen... spazieren. Du weißt ja noch wie du rein kommst, oder? Schlüssel liegt unter der Fußmatte. Wo bist du denn gerade?" "Irgendwo in Manhattan. Bin bald da." Ich seufze. "Gut, du weißt bescheid. Ich bin frische Luft schnappen." Nachdem ich das Telefon wieder in die Station gesteckt habe, tapse ich zum Kleiderschrank und zieh mir ein frisches Hemd uns eine Jeans an. In den Sachen von gestern bin ich geschlafen. Sie sind völlig verknittert. Ich schmeiße sie auf den Boden-die Hausfrau weiß dann, dass sie zum Waschen sind. In der großen Halle hebe ich die neue Jacke von Boden auf und mache mich dann auf den Weg zu der Straße, wo ich Mira immer treffe. Ich habe keine Ahnung, ob so früh schon da sein wird. Unterwegs schnappe ich mir einen Coffee to go und schlendere die Straße hinab.

Kyle
Als ich an der Straße ankam, stand sie tatsächlich schon dort und sang. Ihre Stimme war wie immer gewaltig und meiner Meinung nach viel zu teuer für die Straße. Ich sah mich um. Viele Pendler laufen geschäftig durch die Straßen. Hergott bin ich froh, freie Arbeitszeiten zu haben! Viele kleine Läden säumten die Straße. Gefundenes Fressen für Touristen auf der Suche nach Postkarten und Souveniers für ihre Liebsten. Auch ein kleines Caffee ziert die andere Straßenseite und macht einen einladenden Eindruck. Eine kleine metallene Bank stand unter eine kleinen Baum auf dem breiten Gehweg, wo Mira spielt. Ich setzte mich dorthin und genoss ihre Stimme. Zwischen den Passanten hindurch erhasche ich immer kleine Blicke zu ihr, wie Standbilder. Ich versuchte sie alle in meinem Kopf zu speichern. So schöne Bilder! Ich könnte den ganzen Tag so verbringen.
Als sie fertig gesungen hat, dränge ich mich durch die Leute. Ich hasse es sie zu unterbrechen, aber ich nehme all meinen Mut zusammen, denn ich habe vor sie näher kennenzulernen. "Hallo mein Goldkehlchen!", begrüßte ich sie. "Ich habe leider kein Bargeld für deinen Gitarrenkoffer, aber könnte ich dich zu einem Frühstück einladen? Ich sterbe vor Hunger!" Lachend hebe ich ihr den Arm hin. Wenn sie jetzt Nein sagt, stehe ich da wie der letzte Vollidiot.

TREVOR <-----
Bedrückt laufe ich die allzu bekannten Straßen entlang. An einem Spielplatz, wo ich und May immer geschaukelt haben, vorbei. Bei der Schule, die wir gemeinsam besucht haben, biege ich ab und laufe über die Straße. Alles erinnert mich an sie! Ich sehe vom Boden auf und die Tränen steigen mir ins Gesicht. Meine Augen sehen auf die großen weißen Buchstaben am Fenster eines Caffe´s. Andy´s.
Mit dem Ärmel meines Anzugs wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Nicht hier. Nicht vor all den Leuten. Ich schnappe mir wieder meinen Koffer und eile zu Kyle´s Haus. 'Es hat sich kaum verändert.', denke ich, als ich den Schlüssel unter der Fußmatte hervorziehe. Die gute alte "Welcome guest"-Fußmatte. Als ich die Tür öffne, stockt mir der Atem. Es hat sich sehr wohl verändert! Von drinnen zumindest. Es ist groß und weitläufig. Er hat wohl einige Wände einreißen lassen. Als das hier noch unser Elternhaus war, war alles zugestellt und rustikal eingerichtet. Jetzt sind hier große Zimmer mit eleganten Designermöbeln ausgestattet. Ich sehe mich ein wenig um. Eine Putzfrau wirbelt im Haus herum und scheint sehr darauf zu achten mir aus dem Weg zu gehen. Gleich nachdem sie mich gesehen hat, ist sie zur Haustür hinaus geflüchtet. Eine Tür habe ich noch nicht erkundigt. Ich blicke hinein und sehe einen schreiend grauen Raum. Er hat eine Glaswand mit nettem Blick über die Stadt. Aber keine Einrichtung, bis auf einen Farbtisch und eine... wie nennt man diese Bilderhalter... Staffelei? Sie steht aber verkehrt herum. Da das das einzige in diesem Raum ist, bewege ich mich langsam um die Leinwand, um zu erkennen, was darauf ist. Als ich sie sehe, sacke ich zu Boden und schreie... NEEEIIINNNNNN!!

Kyle
Als sie sich bei mir einhakt, schaudere ich vor Glück. Wie sie mich so anlächelt, und tausendmal bei mir bedankt, ich fühle mich als würde ich platzen! Oder zerfließen! Oder endlosweit Fallen. Ich weiß nicht, was es ist, aber es fühlt sich verdammt gut an. Während ich sie über die Straße führe sage ich: "Mira, bitte vergiss doch einmal, dass ich viel Geld habe. Geld ist nichts weiter als ein positiver Nebeneffekt meiner Arbeit. Ich bin Künstler. Ich male Menschen, die mich verzaubern. Orte, die mich in ihren Bann ziehen. Szenen, die mich bewegen. Mein Bruder würde sagen ich verhökere Farbkleckse." Ich lache, obwohl es die Wahrheit ist. Wir sind inzwischen an dem kleinen Kaffee angekommen, das ich von der anderen Straßenseite aus entdeckt habe. Hoffentlich kann sie hier vergessen, dass ich reich bin und mich einfach mal als normalen Menschen betrachten. Und ich denke das bin ich eigentlich auch. Nur mit Geld. Sehr viel Geld. Aber wenn ich ehrlich bin, würde ich für Mira das ganze Geld verbrennen lassen. Ich hebe ihr die Tür auf und mustere sie von hinten, ihre Taille, die wunderschönen langen Haare, die mich an einen Wasserfall erinnert haben. Sie blickt über ihre Schulter zu mir. SO! Ja, genau so habe ich sie gestern gezeichnet.

Kyle
Ich schlug die Karte auf und blätterte ein wenig darin herum. Mein Blick fällt immer wieder auf Mira, die irgendwie beschämt zur Seite blickte. War meine Anwesenheit ihr unangenehm? Um das Schweigen zu brechen begann ich ein wenig zu erzählen: "Weißt du warum ich so... so aufdringlich zu dir bin? Ich weiß nicht, aber du erinnerst mich an mich, als ich etwa 5 Jahre jünger war. Verzweifelt habe ich am Anfang meiner Kariere meine Bilder auf dem Flohmarkt auf der Straße ausgestellt. Sie waren gar nicht mal so übel. Aber anfangs hielten die Leute meine Bilder nur für Fälschungen, billige Nachmache eben. Aber eines Tages kam mein Kunstlehrer von der Uni her und hat mir geraten, auf der Straße selbst zu malen, dass die Leute sehen, dass ich der Künstler bin. Ich habe seinem Rat gefolgt, und war plötzlich umgeben von Unmengen an Leuten, die mein Handwerk bestaunten. Schnell kamen Auftraggeber zu mir und stellten meine Bilder in ihren Museen aus. Eins fügte zum anderen und... jetzt bin ich wo ich bin. Aber immernoch derselbe kleine Künstler von der Straße, nur dass ich zu Hause male, und etwas besser bezahlt werde." Ich sehe sie an, und muss grinsen. "Und als ich dich singen gehört habe, ich weiß auch nicht, das hat mich einfach umgehauen. Deine Stimme ist für weitaus größeres Publikum bestimmt Mira! Du erinnerst mich einfach an mich. Der große Künstler auf der Straße."