Trevor
Sie schien gerade das Haus verlassen zu wollen, denn sie trug eine Tasche bei sich. "May", sagte ich, unfähig etwas anderes zu sagen. "May, wie..." Wieso war sie immer noch hier? "May, warum..." Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. "Wo ist Kyle? Ich muss... ich..." Alles in mir fleht danach sie zu umarmen, so wie damals. Eine feste, lange und meist äußerst überrumpelte Umarmung. Ich wollte das Mädchen umarmen, das mich ansieht, wie einen fremden. Tränen stiegen in meine Augen. Ich konnte dem Drang nicht widerstehen und umarmte sie, schluchzend.

Trevor
Sie entschuldigte sich bei mir. Wofür entschuldigte sie sich? Ich wusste es nicht, also nahm ich nur einen weiteren Schluck von dem Kaffee, den sie mir gegeben hat. "Was hast du gemacht?", fragte ich und fügte dann noch hinzu: "Ich meine, all die Jahre lang. Hast du nicht einmal daran gedacht, wenigstens deine Mutter anzurufen? Sie hatte einen Nervenzusammenbruch, etwa 2 Wochen nach deiner... deiner Beerdigung." Ich versuchte die Tränen wegzublinzeln, die sich in meinen Augen sammelten. Dennoch schaute ich ihr nun direkt ins Gesicht. "Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, wie sehr ich gelitten habe?" Langsam verstand ich, warum sie sich entschuldigt hat.

Trevor
Schnell bereute ich, sauer auf sie zu sein. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass sie in einer fremden Stadt gemütlich ein Leben lebt und sie selbstlos ihre Vergangenheit weit von sich schob. Die Wahrheit traf mich unsanft wie ein Schlag ins Gesicht. Jetzt war ich derjenige, der sich entschuldigte. "Es tut mir Leid.", murmelte ich. Ein Bild von May im Hochzeitskleid, an der Seite von Kyle erschien in meinem Kopf. "Alles.", fügte ich hinzu und stellte meine leere Tasse auf den Tisch. Ich lief hinüber zu dem rießen Fenster, das schon eine Glaswand ist und lehnte meinen Kopf dagegen. Auf der Straße spielten Kinder Fangen, eine Frau mit Kinderwagen deutete fröhlich auf die strahlende Sonne über New York. Ich wünschte mir leere Straßen, verdüstert durch Wolken. Regen und Sturm. Das wäre meiner Laune besser bekommen. "Alles.", wiederholte ich nostalgisch.

Trevor
Ich lächelte. Tatsächlich erinnerte ich mich daran. Die Erinnerung steckte irgendwo in ihr drin. Sie war da, aber weit weit weg. Was soll ich sagen? Mir geht es teilweise selbst so. Vor fünf Jahren hatten wir die unglaublichste Freundschaft, die sich ein Mensch vorstellen konnte. Vor FÜNF Jahren... Ich kannte sie ja selbst kaum mehr, zudem sie sich auch etwas verändert hat. Sie war nicht mehr meine Freundin, sie war Trevors Freundin. Ich musste sie neu kennenlernen, nicht ständig von alten Zeiten schwärmen. Ich überlegte, was wir unternehmen könnten. Kaffee? Hatten wir gerade. Essen? Hunger hab ich irgendwie überhaupt nicht. Wir könnten einen Spaziergang machen! Bei diesem grausamen guten Wetter. "Hättest du Lust einen Spazier-", begann ich, aber da schlug mein Kopfschmerz mit einer solchen Wucht auf mein Gehirn, dass es mir die Sprache verschlug. Ein schmerzerfülltes "Oufff" entfuhr mir. "Schon okay", sagte ich durch zusammengepresste Zähne. Ich hielt mich am Fenstersims fest, damit die Erde endlich aufhörte sich zu drehen. "Schon okay", wiederholte ich.

Trevor
May's Stimme und der Geruch von frischen Pfannkuchen weckte mich. "Ich liebe dich auch", sagte sie, offenbar zu Kyle am Telefon. Ich nahm das Kühlpack von meiner Stirn und setzte mich langsam auf. "May.", sagte ich und stöhnte leicht auf. Selbst aufrecht sitzen ist irgendwie anstrengend. Wie alt bin ich? 80? "May. Du musst dich nicht um mich kümmern! Mir geht's wirklich gut." Ich versuchte aufzustehen und jaulte vor Schmerz. Schnell ließ ich mich wieder auf das Sofa fallen. "Okay, vielleicht geht's mir doch nicht so gut. Aber du musst arbeiten. Deine Stimme ist gold Wert, Süße. Bitte. Ich steh dir nur im Weg." Ich lehnte mich zurück und das Kühlpack legte ich wieder auf meine Stirn.

Trevor
Ich starrte auf den verführerischen Pfannkuchen. Was für eine listige Schlange sie doch war! Ich nahm den Teller an mich und nahm einen Bissen. "Aber das kann nicht ewig so weitergehen", sagte ich noch mit vollem Mund und damit war das Thema vorerst unter den Tisch gekehrt. Sie erzählte mir, dass Kyle länger weg bleiben würde und starrte dabei auf ihre irgendwie nervös hantierenden Hände. Ich versuchte ihre Körpersprache zu identifizieren. "Weißt du, Kyle wartet schon seit Jahren auf eine Gelegenheit wie diese. Das hat absolut nichts mit dir zu tun. Mach..." Ich musste husten "Mach dir da keine Sorgen." Mein Satz ahtete in einem grausam kratzigen Hustanfall aus. Sicher hatte ich mir einen dieser berüchtigten Krankenhauskeime eingeholt. "Schon okay,", sagte ich, als sich das Husten allmählich wieder gelegt hatte. Meine Haare klebten an meiner verschwitzten Stirn. Ich schämte mich für mein Aussehen. Ich hatte seit Tagen nicht geduscht, aber May hatte noch keinen einzigen Kommentar über unsanfte Gerüche gegeben. Sie war die Freundlichkeit in Person und ich war sehr dankbar dafür. Ich hatte inzwischen aufgegessen und wollte nichts anderes als duschen. "May, ich muss mich waschen. Kannst... Kannst du mich in die Wanne bugsieren, bitte?" Ich fühlte mich grausam, immer wenn ich sie um etwas bittete.

Trevor
Obwohl ich mir sicher war, dass das eine ganz schöne Beule geben würde, lachte ich mit ihr. "Was kann ich denn dafür, wenn mitten aus der Dunkelheit so ein Ding hervorspringt?", rief ich und gestikulierte theatralisch. Plötzlich spürte ich, wie tausende kleine Regentropfen ungebremst auf uns herabfielen. Es regnete aber auch immer in dieser verfluchten Stadt! Unser Lachen verstummte und ich nahm May's besorgten Blick gen Himmel wahr. Irgendwie musste ich die Stiimmung aufrecht erhalten, also sprang ich kurzerhand an die berüchtigte Lanterne und begann wie Gene Kelly lauthals zu trällern: "I'm siiiinging in the raaaain. Just siiiinging in the rainn! What a gloooorious feeling and I'm haaaappy again..."

(falls du es nicht kennst: http://www.youtube.com/watch?v=rmCpOKtN8ME ;))

Trevor
"Dann sing doch mit!", rief ich als ich von der Lanterne hinabsprang. Als sie einsetzte, schnappte ich mir ihre rechte Hand, legte meine andere Hand an ihre Hüfte und begann sie mit mir herumzuwirbeln. Der Regen prasselt auf uns herab, während wir über den breiten Gehweg drehten. Leute mit schwarzen Regenschirmen liefen geschäftig um uns herum, grinsten aber, als sie uns "I´m siiinging in the rain! ..." trällern hörten. May war eine gute Tänzerin, das wusste ich. Damals in der Schule hatten wir gemeinsam Tanzkurs gemacht. Wie sie auf meine Führung einging, jede Drehung perfekt annimmt, das war typisch May. Dennoch sagte ich ihr das nicht. Um sie nicht unter Druck zu setzen, hatte mir vorgenommen, die Vergangenheit fürs erste hinten anzustellen. Wieder drehte ich sie von mir. Ihre Haare wirbelten wie nasse Peitschen wild um ihren Kopf, schlugen auf ihr Gesicht, als sie stoppt. Das Lied war gleich vorbei. Ich drehte sie wieder zu mir und hob sie hoch. Sie war leicht, aber würde ich nicht wöchentlich trainieren gehen, hätte ich May wohl nicht so lang in der Hebelfigur halten können. Mit kontrollierten Schritten drehte ich mich auf der Stelle, wodurch May sich wie ein Propeller lachend über mir drehte. Langsam begannen meine Arme zu zittern, also ließ ich sie vorsichtig an mir hinabgleiten. Ich hatte die Arme eng um ihre Taille gesclungen, als sie wieder am Boden stand.-so sangen wir die letzten Zeilen des Liedes. Ihre Stimme war so klar und rein, das es mir wie ein Schauder über den Rücken lief. Das Lied war vorbei, aber ich ließ sie noch nicht los. Für endlos wunderbare Sekunden starrte ich in ihre wunderschönen Augen und sie in meine.