"Ich garantiere für nichts.", entgegnete sie und sah interessiert zu ihm, doch gleichzeitig spürte sie Trauer in sich aufkommen. Es war so lange her, dass ihr Vater unter ihnen geweilt hatte. Inzwischen konnte sie sich kaum noch an sein Gesicht erinnern, von seiner Stimme ganz zu schweigen. Dafür fühlte sie sich oft schuldig. Ihre Mutter erzählte ab und zu davon, wie sehr er sein kleines Mädchen geliebt hat, wie stolz er an dem Tag ihrer Geburt war, doch deswegen fühlte sie sich nur noch schuldiger. Und seit sie wusste, dass es kein normaler Unfall war, machte es sie auch noch wütend. Genau, der Unfall. Sie schluckte. "Meine mum sagt, an dem Tag seines Todes sind seine Kräfte mit ihm durchgegangen und er konnte sich nicht mehr kontrollieren, schrie ihr nur noch Dinge zu. Wieso hast du ihn sterben lassen?" Inzwischen musste sie ein weiteres Mal mit den Tränen kämpfen, was ihr oft passierte, wenn sie wütend und enttäuscht war. Es kam einfach über sie, überrollte sie in ihrer Wut. "Wieso hast du mir meinen dad genommen?"

"Das ist der große Nachteil, wenn wir an Familienangehörigen vererbt werden..." murmelte er mehr zu sich selbst. "Ich kann verstehen, Warum weder du noch deine Mutter meine Tat nachvollziehen können. Doch ich glaube, dir das jetzt zu erzählen, würde dich nicht gerade stärker machen." müsste er atmen, hätte er jetzt bestimmt tief Luft geholt und seine Gedanken geordnet, doch er tat es Nicht, da es für ihn fast unmöglich war. Also schwieg er nur einen kurzen Moment und verschaffte ihr eine Atempause. "Lass uns ein Deal machen, also neben dem der eh schon die ganze Zeit im Hintergrund steht. Du strengst dich an, um mich zu verdienen und dafür werde ich dir die Geschichte dann erzählen. So belastest du dich nicht und ich muss nicht ständig darüber nachdenken."

Sie atmete tief durch und ließ kurz den Kopf kreisen. "Also Gut.", stimmte sie zu. Das war immerhin etwas. Kraftlos ließ sie sich auf den Boden fallen. Sie fragte sich, wie viele Leute wohl diesmal zusahen und sich darüber kaputtlachten, was sie tat. So war es doch bestimmt.

Und so lagen beide auf den Boden und dachten wahrscheinlich über ihr eigenes Zeug nach, auch wenn sich der Inhalt der Gedanken bei beiden grundlegend unterschied. Doch ehe eine zu tiefe Stille herrschte erhob »Ly« abermals das Wort. "Ehe ich es noch vergesse. Es stimmt zwar, dass du mich besser mit dem Namen rufen kannst, doch das nimmt dir trotz allem nicht die Arbeit ab. Du kannst ihn laut aussprechen oder nur in Gedanken rufen, dass ist alles dir überlassen. Aber wenn du mich rufst und willst, dass ich irgendwas mache, dann musst du es mir ganz klar sagen. Ich kann nicht jedes Mal einfach aus der Situation heraus handeln. Beziehungsweise in letzter Zeit war mir langweilig genug, dass ich einiges mitbekommt habe und daher wusste, was du womöglich von mir willst. Doch das alles war nur Zeitvertreib. Aber das wurde dir ja schon gesagt." fügte er hinzu, als ihm das vorran gegangendes Gespräch mit dem komisch Kerl wieder einfiel.

"Okay.", murmelte sie abermals, auch wenn sie nicht wusste, wie genau sie das anstellen sollte. "Ich versteh nicht ganz.. Wenn ich also will, dass du etwas zerstörst, dann muss ich es nur aussprechen oder muss ich es einfach durch dich ausführen?" Verwirrt runzelte april die Stirn. "Oder wie meinst du das?"

"Die Verbindung zwischen uns ist noch nicht stark genug, dass ich es ohne deine Worte ausführen kann. Du musst mir im Kopf sagen, was du Willst. Es sei denn du willst, dass andere Leute schräg gucken." der Junge hatte das grinsen zurück gefunden. "Bei den anderen um dir sieht es doch auch so aus, als würden sie alleine ihre Kräfte koordinieren. Doch in Wirklichkeit sind es Wesen wie ich. Abgesehen bei deinem Anführer." räumte er mürrisch zu, wobei auch diesmal seine Stimme wieder gläsern klang.

"Mein anführer? Du sprichst von Gideon, nicht? Was ist bei ihm so anders?" Verwundert sah sie ihn an. "Das heißt alle haben so ein Spiegelbild, das ihnen hilft." Irgendwie war die Vorstellung unheimlich, dass jeder soetwas besaß. "Und normale Menschen?"

Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, setzte sich »Ly« schlagartig auf. "Nein, Nein!" beeilte er sich zu sagen. "Nur Personen wie du. Personen, die von der Geburt an, beziehungsweise wie du die durch den Tod eines Angehörigen diese Kräfte geerbt haben. Nur die haben.... Sowas wie mich." dabei zeigte er auf sich selbst. "Doch dein Anführer besitzt keinen 'Geist', Da seine Kräfte künstlich hervorgerufen wurde. Übrigens ist es bei deinem Liebhaber-" er räusperte sich" - deinem Ex, ist es dasselbe."

"Oh, verstehe." Sie nickte eilig. "Das erklärt einiges." Kurz zögerte sie. "Kannst du meinen Schmerz auch spüren? Irgendetwas schmerzt die ganze Zeit schrecklich, seitdem ich das Institut verlassen habe. Was genau ist das?"

Der Junge hob die Hände in die Luft. Seine Hände bestanden aus langen dünnen Fingern, mit vielleicht etwas zu langen schwarzen Fingernägeln. "Ich hab nicht die leiseste Ahnung. Aber falls es dich beruhigt, ich bekomme so ziemlich alles mit, was in dir vorkommt, weil streng genommen bin ich ja in dir drinnen. Ach so, dass mit dem Spiegelbild, ich könnte auch außerhalb des Spiegels sein, doch das ist mir im Moment zu anstrengend und ist es auch nicht wert." entschuldigte er sich grinsend.

Sie seufzte. "Kann dich außer mir jemand sehen?" Das würde dann nämlich bedeuten, dass Gideon immer genau Bescheid wissen würde und das wollte sie eigentlich nicht.

"Nö. Nur du." lautete die knappe Antwort. "Und nur du kannst mich hören und rufen." ohne Vorwarnung saß der Junge mit einem Schlag kopfüber auf der anderen Seite des spiegelrandes. "Können wir jetzt irgendwas machen? Wie irgendwelche Leute besiegen oder ermorden oder sowas halt." schwärmte er.

"Dafür bin ich vermutlich für heute zu schwach. Wie wäre es, wenn ich Gideon suche und nach der ersten Trainingseinheit zu fragen? Er würde uns schon sagen, was zu tun ist, oder?" Schon stand sie auf. "Das wäre immerhin ein Anfang."

Der Junge verzog den Mund. "Training is doch unnötig. Lass uns lieber in Aktion treten." versuchte er es erneut, auch wenn er sich irgendwie denken konnte, dass sie wohl nie wirklich Begeisterung für sowas ausbringen würde. "Dann gehen wir uns halt irgendwelche Aufgaben geben." knirschte er.

"Schon besser." Sie grinste leicht und ging zur tür. "Also, Ly, ich freu mich drauf, mich unter Beweis zu stellen." Ihr verzweifelter Tobsuchtsanfall war vergessen und sie schien wieder glücklich, doch das konnte täuschen. Schon drückte sie die Tür auf. Nur wo sollte sie nun Gideon finden?