"Wenn du gute Laune hast, bist du fast noch gruseliger...." murmelte »Ly« leise. Auch wenn er in diesem Moment aus dem Spiegel verschwand, würde er für April immer sichtbar in allen gläsernen oder spiegelnden Gegenständen sein. Wenn er es auch wollte, könnte er auch im "normalen" Leben sichtbar sein, doch dafür war er einfach zu bequem.

April brauchte gar nicht lange suchen, denn bereits nach dem kleinen Durchgang von Halle zu Halle, stand Gideon an der Wand gelehnt. Er hielt sich ein Handy ans Ohr und ließ sich gerade wichtige Infos aus allen Bereichen zukommen. Als er hörte, dass April aus dem Raum kam beendete er das Gespräch mit den Worten: "Mach weiter so und behalte die Hundert weiterhin im Auge." dann legte er auf und drehte sich zu dem rothaarigem Mädchen um. "Und? Hat er sich gezeigt oder hast du wenigstens seinen Namen?"

"Ly.", erklärte sie knapp. "Er hat mir alles erklärt." Sie sah nochmal in den Raum. "Achja, ähm. Ich hab ein paar dinge kaputt gemacht. Tut mir leid. So, und was jetzt?"

Gideon folgte ihrem Blick mit seinen Augen, auch wenn es ihm nicht sonderlich interessierte. "Dachte ich mir schon." er ließ sich zeit, ehe er zu ihr zurückkehrte. "Dein Zusammenbruch heute morgen zufolge, hat ein richtiges Training kein wirklich Sinn. Dir fehlen so ziemlich alle Grundlagen. Was nicht verwunderlich ist, da das Institut die Verbindung zu deinem... Was auch immer es ist, stärkt. Was genau erwartest du eigentlich von hier? Also wie sollte das Training aus deiner Sicht aussehen?" wechselte er noch im selben Atemzug das Thema.

"Nunja..." Sie zögerte. Entweder Klang sie zu gierig oder zu anspruchslos. Könnte man es diesem Kerl überhaupt recht machen? "Ich hatte gehofft, man könne mir die Grundlagen beibringen und danach musst du mir beibringen, wie ich sie allesamt fertig machen kann." Ein ehrgeiziges grinsen spielte sich auf ihre Lippen.

Gideon legte seine Stirn in falten und seine rechte Hand unter sein Kinn. "Grundlagen, also. Meinst du sowas wie das Alphabet oder das 1x1?" fragte er weiter. Auf der einen Seite war er neugierig, was genau sie hier erwartete und auf der anderen Seite wollte er sie zum nachdenken anregen. Es kam nicht oft vor, dass er sich blutige Anfänger hierher holte. Vielleicht gerade mal dreimal. Von jedem einzelnen hatte er Eigeninitiative verlangt, da er was dagegen hatte, wenn sie sich nur auf ihn stützten. Er hatte besseres zu tun.

"Genau, das 1x1.", entgegnete sie sarkastisch. "Natürlich nicht! Ich brauche Übung, ich brauche Hilfe. Ehe ich mich nicht beherrschen kann, passiert hier eh nichts. Ich muss das alles erst lernen, möglichst schnell, versteht sich. Und danach muss ich kämpfen können, muss ich euch zumindest als Handlanger bei Operationen dienen können, oder siehst du das anders?"

"Nö." lautete Gideon's Antwort, die mehr an einem vergnügten Teenager erinnerte, der gerade nicht mehr sagen wollte. Für alle anderen die neu dazu kamen, Waren Grundlagen so etwas wie, das exakte Arbeitern im Team oder Aufträge ohne große zeitverschwendung zu erledigen. Doch April's Grundlagen lagen dort, sich überhaupt durchsetzen zu können und das gegen sich selbst. Bei dem Gedanken sank in Gideon der Glaube, dass sie es je Schaffen würde. Er sollte am besten gleich Morgen seinen eigenen Nutzen aus ihr ziehen. Sie hatte Potential, doch ihr fehlte es immer noch an dem Willen, wenn nicht an mehr. "Es ist einfach als jemanden, der alles gemeistert hat, so zu reden, doch die Kontrolle kann dir niemand abnehmen." mit ein langem Atemzug ließ Gideon sein Handy in seine Hosentasche verschwinden und winkte April mit sich, als er sich umdrehte und in die Halle zurückkehrte, aus der sie kam. "Du kannst Liron nach der Effektivität dieses Trainings fragen, der wird dir versichern das es nicht nur die Beherrschung zu Nichte macht." begann er mit erzählen, ohne darauf zu achten, ob sie überhaupt zuhörte oder hinterher kam. Sie wollte stärker werden, nicht er. "Was man mit drei Kerzen machen kann, kann man auch mit drei Gläsern machen." er durchquerte die Halle und verschwand in einer kleinen Tür in einen Nebenraum. Als er zurück kam hatte er einen Koffer in der Hand und einen zusammen geklappten Campingtisch. Diesen klappte er aus und stellte ihn auf, aus dem Koffer holte er drei Weingläser heraus und stellte sie in einer Reihe auf den Tisch. "Drei Gläser, doch nur das in der Mitte soll Risse bekommen. Das sollte zu Beginn reichen. Danach können die Wiederherstellung trainieren." mit diesen Worten trat er drei Schritte zurück, verschränkte die Arme und wartete. Das würde ein laaaaaanger Abend werden.

April betrachtete ihre Aufgabe nachdenklich, dann ließ sie sich im Schneidersitz davor nieder. Könnte sie nicht einfach Ly darum bitten? Wohl kaum. Immerhin sollte sie ihm ja beweisen, dass sie dem würdig wach. Zögerlich Streckte sie die Hand aus und konzentrierte sich fest auf das Glas in der Mitte, doch immer spürte sie nur alle drei Gläser, das mittlere allein schien nicht fassbar. Immer wieder versuchte sie es, doch nie geschah etwas. Von Stunde zu Stunde zerbrach ein Glas, während sie knobelte und versuchte, nie mit Erfolg.

Gideon hatte sich gegen die Wand gelehnt und sah zu. Naja, jedenfalls sah es so aus. Bis sie die Gläser kaputt machte, starrte er bloß in die Luft und dachte über den neu entworfenen Plan nach. Doch wenn das hellen Klirren eines Glases ertönte erwachte er aus seiner Trance, ging zu dem Koffer und zauberte ein weiteres Glas heraus. "Noch einmal." wies er sie dann an und kehrte an seinen Platz zurück.

»Ly« laggrob gesehen neben April auf dem Boden, doch wenn man genau hin sah, dann bemerkte man, dass er kurz über dem Boden noch in der Luft Schwebte. "Mann, ist das langweilig." stöhnte er auf, wobei die Gläser leicht erzitterten. "Jetzt streng dich doch mal richtig an!" nölte er April zu.

April sah zu Ly, deutlich genervt. "Halt die Klappe!", fauchte sie. "Hilf mir lieber. Davon wird es auch nicht besser!" Konzentriert starrte sie die Gläser an, versuchte in Gedanken nach dem Glas zu greifen, es mit bloßer Hand zu zerschmettern, als hätte sie noch einen unsichtbaren Arm. Nichts geschah. Innerlich fluchte sie. Das würde wohl nie etwas werden. Trotzdem versuchte sie es weiter. Sie war nicht mehr im Institut. Hier hieß es: fressen oder gefressen werden.

Arved hatte sich eine Pause gegönnt, auch wenn diese mit einem schlechten Gewissen erfüllt war. Es war gerade mal einen Tag her, seitdem April verschwunden ist, doch bei ihm wirkten die Spuren, als wäre es mehrere Monate. Sein Gesicht war bleicher geworden und die Augenringe tiefer und dunkler. Im Moment saß er auf einen der Stühle in dem leer gefegtem Essensraum, den Kopf auf der hohen Lehne abgelegt und ein nasses Handtuch über die Augen und der Stirn. Auch wenn es von außen vielleicht so aussah, als würde er sich ausruhen, ging er in Gedanken alle Fakten durch, die er über April wusste und gelernt hatte. Heute war er, nachdem er Hodge entflohen war, zu dem Haus gefahren, indem ihre Mutter gelebt hat, doch nun war sie verschwunden. Kein Anhaltspunkt, keine Nachricht, keine Spuren. Was auch geschehen war und wer auch immer sie mitgenommen hatte, er wusste wie er unsichtbar bleiben konnte. Dennoch ahnte Arved, dass April's Verschwinden und das ihrer Mutter zusammen gehörte. »Lügen haben kurze Beine und trotzdem habe ich dich geliebt« das waren die letzten Worte seiner Herrin an ihm. Sir hatte recht, er hatte sie nur angelogen und dennoch hatte er es nur für sie getan. Er wollte sie doch nur beschützen und dabei war selbst zu ihrer Angst geworden. »Wie traurig«

"Nö. Du wolltest mir deine Stärke beweisen, nicht umgekehrt, vergiss das mal nicht." erinnerte der gläserne Junge sie. "Ist es denn wirklich so schwer?" entfuhr es ihm, nach einer kurzen Pause, in der er wirklich versucht hatte stumm zu bleiben. "Es ist doch nur ein einziges Glas, immerhin hast du heute morgen einen ganzen Raum voller Spiegel zerstört. Naja... Eigentlich War ich das Ja." fügte »Ly« lachend hinzu.

"Nun halt endlich die Klappe!", schrie sie den Jungen an und alle drei Gläser zersprangen. Alles zerrte an ihren Nerven, ihr war schlecht und er machte es wirklich nicht besser. "Ich hab's ja verstanden, dass du dich damit auskennst!." Mit einer wütenden Handbewegung hoben sich die Scherben vom Tisch und rasten auf Ly zu.

Gideon musterte April kurz. Scheinbar verstand sie sich gut mit ihrem »Geist«, auch wenn es im Moment eher anders wirkte. Auch wenn sie es gerade geschafft hatte das Glas zu kontrollieren, würde sie heute keine Fortschritte machen. Also, drückte sich der Mann von der Wand und machte einen Schritt auf April zu. "Wir beenden das für heute. Du machst das ganze jetzt schon eine ziemlich lange Zeit und hast es kein einziges mal geschafft. Morgen geht es weiter."

Der Junge kicherte nur amüsiert. Sein Grinsen wurde nur noch breiter, als die Scherben auf ihn zuschossen. Doch statt sich in seine 'Haut' zu bohren, erstarrten sie kurz vor ihm. Dafür musste er sich noch nicht einmal bewegen, sodass sich die Scherben geland umdrehten und nun auf das rothaarige Mädchen. "Gewonnen."

"Ich habe gesagt, du sollst still sein!", blaffte sie und schleuderte die Scherben an die nächste Wand, dann drehte sie sich zu Gideon. "Es tut mir leid... Ich... Ich... Ich arbeite härter daran. Ich werde das schaffen, ja?"

"Klär das mit dir. Deine Deadline ist eine Woche, wenn ich dann keine Fortschritte sehen oder die Informationen die wir von dir erwarten es nicht wert sind, dann werde ich dich umbringen." Gideon sprach diese Worte so nüchtern aus, als würde er über das Wetter reden. Nur seine Augen verrieten dir Bedeutung dieser Worte. "Und jetzt zieh ab, wir sind nun einer der letzte hier, zudem hab ich auch noch Zutun."