Sie nickte und schluckte kurz schwer. "Ich weiß.", entgegnete das Mädchen mit rauer Stimme. "Weißt du, wo ich Liron finden kann?"

Gideon hob bloß die Schultern. "Woher soll ich das wissen? Ich war die ganze Zeit hier, hast du das vergessen?! Entweder der trainiert wieder oder er ist schon bei seinem Bike oder er liegt noch im Arztzimmer." zählte er die Möglichkeiten auf.
Tatsächlich würde Liron immer noch in dem Zimmer liegen, wo er zuvor war. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Augen geschlossen und einen ruhigen, regelmäßigen Atem. Sein Haar würde immer noch zwischen seinem Augen liegen und vereinzelte Haare hingen in seinen dichten, dunklen Wimpern.

April nickte. "Dann werde ich ihn mal suchen. Bis morgen." Schon schob sie sich an ihm vorbei und machte sich auf die Suche. Es verging einige Zeit, ehe sie ihn im Arztzimmer vorfand. Sie hätte nicht gedacht, dass er wirklich noch hier war. "Hey. Wie geht es dir? Alles noch dran?"

Gideon sah ihr nach und konnte sich nur für ihren Abgang bedanken. Endlich hatte er Ruhe.

Liron Schmatzte leise und öffnete nur ein Auge. "Joa, scheint so. Die Wunde ist nur wieder aufgegangen. Arm und Rücken." fügte er breit grinsend hinzu, wobei er beide Augen aufgeschlagen hatte. "Und bei dir? Hat es geklappt oder wieder nichts?" fragte er. Wenn sie jetzt hier war, konnte er sich eigentlich denken, dass es schon ziemlich spät sein müsste.

Sie seufzte und ließ sich neben ihm nieder. "Versagt, wie immer. Und dieser komische Typ, der angeblich meine Kräfte darstellt, macht sich nur über mich lustig. Es ist so frustrierend. Ich meine, ich spüre das Glas. Ich weiß, dass ich es kontrollieren kann, aber nur alles gemeinsam. Aber Gideon erwartet von mir, dass ich von drei Gläsern nur das mittlere reißen lassen. Ich seh es geradezu vor mir, wie er mich am Ende der Woche töten wird." Sie ließ den Kopf sinken. "Aber das lass ich nicht zu.", fügte sie leise hinzu. Schnell wechselte sie das Thema. "Soll ich mir die Wunden noch einmal ansehen?"

Liron lachte leise auf. "Mit dem hat er mich auch gequält. Doch dabei hat er eine ganze Halle einbüßen müssen." als sie seine Wunden ansprach zuckte er lässig die Schultern und setzte sich aufrecht hin. "Wenn du unbedingt willst." er schob sich auf der schmutzigen Matratze so, dass sie gut an den Verbänden dran kam. "Ich hab fast zwei Wochen gebraucht, um nur die mittlere Kerze erzünden zu können. Gut, zu der Zeit war ich gerade mal 9... Glaube ich zumindest." er legte die Stirn in Falten, doch er konnte sich beim besten Willen nicht an die Einzelheiten erinnern.

"Zwei Wochen?", wiederholte sie ungläubig. Nun, jetzt war ihr Todesurteil wohl besiegelt. "Er hat mir eine Woche gegeben, mit der Bedingung, dass ich ihm gute Informationen liefern kann. Er wird mich töten, Liron. ", flüsterte sie leise, damit wirklich nur er es hören könnte. Aber sie war immerhin freiwillig dieses Risiko eingegangen. Schon begann sie damit die Verbände abzuwickeln, die sich mit seinem Blut vollgesogen haben. "Du hättest sie eher wechseln müssen.", tadelte sie ihn und kümmerte sich darum neue Verbände aufzutreiben und die Wunden noch einmal etwas zu säubern, falls es doch noch Rückstände gab.

"Eine Woche?" wiederholte Liron ihre Worte und musste sich ein los lachen verkneifen. "Das schaffst du niemals. Nicht in deinem Zustand." versicherte er ihr. Während sie sich über seine Wunden her machte, saß er ganz still da und starrte die fleckige Wand ihm gegenüber an. "Wie soll ich die denn bitte alleine wechseln...?!" murmelte er beleidigt. "Außerdem wette ich, dass du es locker in der einen Woche schaffst. Du bist älter, hast den Wille, das Ziel und die Kraft, also mach dir über diese eine Woche keine Sorge."

"Was nun?", fragte sie unsicher. "Schaff ich es oder schaff ich es nicht?" Schon winkte sie ab. "Ist auch egal. Gibt es deinerseits irgendwelche Neuigkeiten?" Seelenruhig wechselte sie die Verbände, trotz blutiger Wunden. Das hatte ihr eigentlich nie viel ausgemacht.

"Du wirst das schon schaffen." Liron pflanzte seine Hand brüderlich auf ihre Schulter und grinste breit wie ein Schuljunge. Dann nahm er seine Hand zurück und drehte auch seinen Kopf wieder in die ursprüngliche Position. "Von mir gibt es nix. Ich hab die ganze Zeit schön geschlafen. Hier schläft es sich weitaus besser, als in der eigenen Wohnung." räumte er ein. Doch diese Tatsache lag wahrscheinlich an etwas anderem, als an der Matratze. Hier wusste er, dass keiner der Hunde je rein kommen oder es überhaupt finden könnte, doch bei seiner Wohnung sah es anders aus. Vielleicht war es auch einer der Gründe, warum er kaum schlief. Ständig achtsam das er keine Spuren hinterlassen hatte. Tja, an dieser Handlung war Gideon schuld, der hatte ihm doch tatsächlich gelehrt, IMMER aufzupassen.

"Findest du?", fragte sie erstaunt. "Für eine sanitäre Anlage ist das hier eine Schande. Das Bett allein ist so schmutzig, dass man sich auch gleich in einer schlammpfütze wälzen könnte. Für die Genesung ist es mehr als nur schlecht.", belehrte sie Liron. "Aber daraus macht ihr euch ja nicht viel. Schlafen kann man, wenn man tot ist, nicht?"

"Ganz genau." rief Liron freudig über ihre Erkenntnis aus. "Man gewöhnt sich dran, wenn man sein ganzes Leben hier verbringt." er schielte über seine Schulter zu April. "Und? Wie sieht's aus, bist du fertig? Ich hab nämlich nen Riesen Kohldampf. Wie stehts bei dir?"

"Ob ich Hunger hab?" Sie hob den Kopf und befestigte den letzten Verband. "Also... Eine Kleinigkeit könnte ich schon vertragen.", meinte sie, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Natürlich musste sie essen, doch seit dem sie und Arved getrennt waren,seitdem sie sich immer mehr von ihm distanziert hatte, bekam sie es einfach nicht mehr runter. Auch jetzt blieb Schmerz und Übelkeit zurück. "Lass uns doch zu dir fahren und etwas essen. Es ist schon spät." Zumindest vermutete sie das, denn sie hatte seitdem weder eine Uhr noch das Tageslicht erblicken können.

"Sehr gut." Liron sprang geland auf und schloss seine Weste wieder, welche er zuvor geöffnet und über die Schulter geschoben hatte, damit sie an seinen Arm und Rücken kam. "Dann machst du fein Abendessen und ich befreie mich von den dreckigen Klamotten." stellte er einen, aus seiner Sicht, perfekten Plan auf. "Dann komm, Prinzesschen." rief er, damit er auf ihre Reaktion nicht erst warten musste. Der Junge drehte sich um und schlurfte aus dem Raum und die Gänge entlang zum Ausgang.

Sie folgte ihm. "Prinzesschen? Wohl eher Aschenputtel, oder nicht?" Lachend drückte sie auf den fahrstuhlknopf. "Aber ich denke, es ist doch gut, dass ich koche und nicht du. Du solltest dich noch etwas ausruhen. Ich kümmer mich um alles. Was hättest du denn gerne?"