"Diese Leier schon wieder." winkte Liron bloß kalt ab. "Ich hab es dir schon einmal gesagt, ich tue das nun weil ich es für richtig halte und ich finde du musstest weitaus mehr in letzter Zeit durchmachen als ich. Außerdem..." nun kam er doch ins stocken, als ihm bewusst wurde, was er gerade sagen wollte. Dass sie ihn nun schon so weit gebracht hatte, dass er ebenfalls sentimentales Zeug von sich gab, ließ ihn von sich selbst enttäuscht sein. "Egal." wechselte er schlagartig und drehte sich erneut zur Tüte um die Klamotten alle rauszuholen. "Wir sollte uns nun wirklich beeilen." als er die Sachen Stück für Stück aus der Plastetüte befreite ging er noch einmal seine Gedanken durch, welche sich wie lose Fetzen aneinander reihten. Er hatte ihr sagen wollen, dass sie ihn an sich selbst erinnerte. Als er das erste Mal hier unten war, wurde auch ihm das Dreck und das Blut von der Haut gewaschen. er konnte damals vor Angst und Schmerz keine drei Meter laufen, ohne sich in Tränen aufzulösen und zu schreien, dass er nicht mehr wollte. Damals hatte niemand dagestanden und ihm das Handtuch gereicht, der weißhaarige Mann hatte ihm gesagt, dass niemand kommen würde und dass er alleine stehen müsse, um irgendwann stark zu werden. Jedoch hatte April so etwas nicht verdient, dafür musste sie sich schon durch viel zu viel durch kämpfen. Ihr diese Fetzten an zusammenhangslosen Gedanken zu erklären, hätte er 1. möglicherweise viel zu weit ausholen müssen, 2. fehlte ihnen dazu die Zeit und 3. interessierte es keinen woran er sich erinnerte aus der Zeit, wie er hier angefangen hatte.

Nachdenklich blickte April ihn an. Sie wollte ihn gerne fragen, was er sagen wollte, doch er schien nicht darüber reden zu wollen. Mit ruhigen Bewegungen trocknete sie ihren Körper, um dann die Kleidung entgegen zu nehmen. Ab und zu schniefte sie, um ihre verstopfte Nase zu befreien. Viel Erfolg hatte sie nicht, weshalb sie es immer wieder versuchte. Der kleiderhaufen, den Liron ihr mitgebracht hatte, entpuppte sich als ein schwarzes weites Shirt mit langen Ärmeln sowie einer schwarzen Hose, zusätzlich gab es Unterwäsche. Alles zog sie nun über, ohne einen mucks von such zu geben, dabei fühlte sie sich nun bereits zu entkräftet für jeden weiteren Schritt. Obwohl ihr Oberteil schief saß und die Hose nicht geschlossen war, brach April schließlich ab und sank kraftlos auf die Bank. Sie wünschte sich die Zelle zurück. Allein der Gedanke an Gideon ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. De Spuk im Bad hätte vielleicht sein Ende genommen, doch das Spiel selbst war längst nicht vorbei. Matt stützte sie den Kopf in die Hände. "Nur einen Moment, ich kann gleich wieder."

Liron sah für einen Augenblick mit ausdruckslosen Augen zu den Mädchen hinab, ehe er sich vor sie hockte erneut etwas aus der Tüte kramte. "Ich hab auch ein paar neue Schuhe mitgebracht." sagte er, ohne auf eine Antwort zu hoffen, stattdessen nahm er ihre kalten Füße, stellte sie sich auf das Knie und begann ihr erste die Socken und dann die Schuhe anzuziehen. Es war ihm egal, ob er sie damit wie ein Kleinkind behandelte oder es einfach nur überflüssig war, wenn sie alleine durch das Abtrocknen und das Anziehen so geschafft war, dann sollte sie sich lieber die restliche Kraft für das Folgende aufbewahren. "Wir müssten noch gut in der Zeit liegen." sprach Liron weiter und setzte nun auch den zweiten fertig beschuhten Fuß wieder auf den Boden ab, ehe er den Blick zu ihr hob. "Lass dir also Zeit und schöpfe noch etwas Kräfte. Dann richten wir deine Sachen und dann gehen wir los."

Hilflos lächelnd sah sie den jungen Mann an, wozu sie die Hände nur leicht auseinander schob. während er sich um sie kümmerte, war ihr das nasse rote Haar ins Gesicht gefallen. Obwohl sie lächelte, sah man an ihren Augen, wie nahe sie den Tränen stand, nicht zuletzt aus Dankbarkeit gegenüber Liron. "Ich habe solche Angst, dass etwas schiefgeht. Was wird Gideon mit mir tun, wenn ich nicht den Vorstellungen entspreche? Ich bin ein Frack und das weiß er, trotzdem testet er mich. All das ergibt doch gar keinen Sinn. Er will mich nur bestrafen, Oder?"

"Hat er das bis jetzt nicht langsam genug?" brummte Liron und erhob sich, die Tüte dabei achtlos zur Seite geschoben. "Er kann unmöglich nach diesen Wochen noch eine Glanzleistung von der verlangen." zur Bestätigung schüttelte er den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Das ist unmöglich." doch auch er konnte sich keinen Reim darauf machen, warum ausgerechnet jetzt dieses 'Treffen' geplant war. Nach dem Gideon sie nun so lange in dieser schwarzen Zelle gelassen hatte, durfte er genauso kaum Hoffnung in ihre Belastbarkeit haben. Warum führte er sie also so vor? Wenn Liron selbst darüber nachdachte wurde ihm immer verständlicher, wie April auf die Schlussfolgerung mit der Bestrafung kam. Dies schien tatsächlich die einzige logische Lösung des ganzen Durcheinander zu sein. Wieder schüttelte der junge Mann den Kopf. Er würde sich hüten jetzt auch noch so zu denken.

"Scheinbar nicht.", murmelte die rothaarige. Unruhig starrte sie auf ihre neuen Schuhe . "Liron?", begann sie erneut leise. "Hast du dir vielleicht auch schon manchmal überlegt, dass es keinen Ausweg gibt? Keinen außer vielleicht den Tod?" Sie scharrte mit der Spitze de rechten Fußes auf den kalten Fliesen. Es war Unsinn darüber zu sprechen, sie wusste bereits, dass er dagegen war, doch die Begegnung mit Ly hatte sie nicht zum ersten Mal auf diesen Gedanken gebracht. "Wenn es so weitergeht, bis ich nichts mehr alleine kann? Bestrafung nach Bestrafung... Tag um Tag nur Dunkelheit..." Für einen kurzen Moment haderte sie, wie sie es sagen sollte. "Würdest du dem ein Ende setzten? Ich meine, nicht ... Nicht sofort. Aber wenn du siehst, dass ich nur noch eine willenlose Hülle bin, wenn ich komplett aufgeben musste, wenn ich nicht mehr kann, wenn ich es einfach nicht mehr schaffe... Würdest du - könntest du - all dem ein Ende für mich setzen?"

Liron regte sich einige Zeit nicht, sondern sah April einfach nur an. Als könne er die richtige Antwort in ihren Augen finden, doch durch diese erkannte er nur die Wichtigkeit dieser Frage. "Wenn du eine Hülle bist? Bist du dann wirklich noch April? Meine Aufgabe lautete für April zu sorgen und nicht für eine Puppe." er drehte den Kopf zur Tür und betrachtete die Schwelle, ohne sie wirklich zu sehen. "Sei unbesorgt, wenn sich jemand als dich ausgibt, auch wenn er es nicht ist, werde ich ihn beseitigen. Aber..." nun galten sie ernsten dunklen Augen des Dunkelhaarigen wieder April. "Wehe du gibst einfach so auf! Wenn du das tust werde ich dir das nie verzeihen! Und dann ist es mir egal, ob du unbedingt sterben willst. Du wirst nie wieder irgendeinen handel für den Tod ein gehen oder etwas dergleiches." stellte er damit seine Bedingungen für einen zukünftigen Mord an dem Mädchen, was in seinen Schutz gestellt worden war.

"In Ordnung.", sie nickte einvernehmlich und ließ ebenfalls den Blick schweifen. Angespannte Stille herrschte, dabei war sie erleichtert, dass er zugestimmt hatte. "Danke." Wieder stille. Nur das nervöse scharren auf dem Fußboden war zu hören. Langsam drückte sich April schließlich von der Bank hoch. "Ich halte es nicht mehr aus. Können wir es endlich Hinter uns bren? Ich will nicht auf meine Bestrafung warten müssen. Ich will einfach für ein paar weitere Wochen in die Zellen. Solange bis er glaubt, es sei genügend. So wie es jetzt ist, kann das unmöglich alles sein Ernst sein."

Liron nickte, auch wenn er gedanklich immer noch bei ihrem Wunsch war, den er soeben angenommen hatte. Sie hatte sich soeben bei ihren zukünftigen Mörder bedankt. Allmählich geriet alles aus den Fugen. Um auf andere Gedanken zu kommen, stellte sich Liron wieder an ihrer Seite, dieses Mal nur ohne den Arm um sie zu legen. Er könnte es verstehen, wenn sie jetzt ohne Hilfe gehen wollte, doch da er ihrem Körper noch nicht vertraute, würde er vorsichtshalber dicht neben ihr laufen, um sie im Notfall doch irgendwie zu stützen. "Sobald du bereit bist." murmelte er noch.

Kurz betrachtete sie Liron noch einmal, dann nickte sie leicht und setzte sich in Bewegung. Es war seltsam, dass sie gerade eine Vereinbarung über ihren Tod getroffen hatten, doch erleichterte es sie zunehmend. Er würde ihr helfen, wenn alles zusammenbrach. Wenn es soweit war, würde es nur eine Bitte brauchen, ein Versprechen, das man einforderte. Sobald sie dem Wahnsinn nah genug war, um sich selbst nicht mehr zu kennen, war die Zeit gekommen. Noch jedoch hatte Liron recht. Arved hatte ihr Leben beschützt, es zu verkaufen kam nicht in frage. Hoffend blickte sie gerade aus und atmete tief durch. Sie wusste gar nicht, was sie Gideon überhaupt vorführen sollte.

Liron führte April abermals durch die metallenen Gänge, zu einer der großen Hallen, welche nicht mit anderem Zeug voll gestellt war, wie die meisten großen Lagerhallen. Wenn er sich recht erinnerte, dann müsste es sogar die gleiche Halle sein, wo er April das erste mal richtig in die Augen gesehen hatte und Gideon sie unter seine Fittiche gekehrt hatte. Das die meisten bereits anwesend waren, konnte man schon von weitem hören, was daran verschuldet war, dass die meisten Türen nun offen standen, als wäre alle auf einen einzigen Befehl los gestürmt und hätten alles stehen und liegen gelassen. Liron fragte sich, was Gideon zu allen gesagt hatte. Es war schwer vorstellbar, dass er ihnen die wahrheit erzählt hatte, wer würde schon einem Mädchen zusehen, wie er versuchte unter Schmerzen ihre zerbrochene Stärke zu demonstrieren? Vor der Tür, die sie nun noch von der Halle trennte, blieb der junge Mann stehen. Sein Blick suchte April, sie sollte die Halle betreten, wenn sie selbst dazu bereit war. Denn jetzt ging es nur um sie.

Auch April sah ihren Beschützer an und zögerte. Man sah ihr die zunehmende Aufregung an, als ihre Augen verschiedenen Beobachtern folgten und die Umgebung abtasteten. Es war mehr als Aufregung, es war vorallem Angst. Zitternd griff sie nach der Hand ihres Begleiters und sah ihn an, während sie die Hand vor ihrer Brust in beiden Händen hielt. "Ich schaff das doch, oder?", fragte sie unsicher, aber eine Antwort schien sie nicht abwarten zu wollen. "Wünsch mir Glück." Fest drückte sie seine Hand und wandte den Kopf ihrem Eingang zu. Schwer stieß sie die Luft aus, ihr Griff verstärkte sich. "Bitte schau nicht hin, falls es zu demütigend wird. Es wird vielleicht die Arbeit, die du heute in mich investiert hast, kaputt machen. Aber... Danke, dass du heute da warst." Mit ihren letzten Worten ließ sie auch die Hände wieder sinken und wandte sich von Liron ab, um der großen Halle möglichst erhaben entgegen zu schreiten. Sie straffte die Schultern und hob den Kopf leicht an, doch die Sorge und der Schmerz in ihrem Gesicht wirkten unkontrollierbar. "Also gut...", murmelte sie, mehr zu sich selbst und trat in die Halle, dem Schicksal entgegen.

Liron sah ihrem Rücken nach, als könne er sie allein mit seinem Blick vom gehen abhalten. Sie versuchte tatsächlich stark zu sein, obwohl Gideon Spaß daran empfand ihre Schwäche allen vorzuführen. "Viel Glück." flüsterte Liron nachträglich und betrat einige Minuten nach ihr die Halle. Nur er blieb auf dem Vorsprung, der sich am Rand der gesamten Halle lang zog, wo auch alle anderen standen. Nur Gideon stand unten, auf den alle nun sahen, während seine goldenen Augen April einnahmen. Er streckte April die Arme entgegen, als würde er eine lang vermisste Freundin begrüßen. "Da bist du ja endlich und schick siehst du aus. Erinnert dich das ganze nicht an etwas? So bist du den Jägern bei getreten." Gideon trat neben April und legte ihr freundschaftlich einen Arm um die Schulter. "Also, was ich von dir verlange ist ganz simpel. Du hast heute die Chance deinen ganzen Frust an mich auszulassen, der dich die ganze Zeit begleitet. Jedenfalls hoffe ich, dass da noch etwas Wut in dir ist. Um diese Chance beneiden dich hier einige." rief der Mann lauter und erhielt lautes Gelächter der Jäger, bis auf einen. "Alles klar soweit? Du entscheidest wann es los geht." Gideon gab sie wieder frei und stellte sich vor ihr, wobei er eher vor ihr langsam rückwärts ging, die Arme immer noch leicht ausgebreitet und ein breites lächeln im Gesicht. Den Blick nur auf das rothaarige Mädchen gerichtet.

Unsicher tastete Aprils Blick die Fremden Gesichter ab, die Hände zu Fäusten geballt, die Lippen fest aufeinander gepresst. Dann widmete sie sich Gideon. Sie erwiderte nichts, auch als er sie anfasste, schien sie nichts weiter als eine kleine Puppe zu sein mit der man spielen konnte. Nicht weit entfernt entdeckte sie, dass man einige glasplatten am Rand aufgebaut hatte. Das wäre also ihre Vorlage. Erst als sie verstand, dass Gideon sie herausforderte und das mehr als nur eine Herausforderung war, erwachten ihre leblosen Züge und sie starrte den Mann erschrocken an. Er wollte, dass sie gegen ihn ankämpfte? Vor ihrem inneren Auge tauchten die Bilder aus dem Institut auf. Der Schulsprecher, der sich als Gideon entpuppte, die tosende Menge, die Lehrer, die nicht eingriffen. Sie war ganz allein auf sich Gestellt. Messerhiebe, Blut, Schmerzensschreie, und doch half ihr niemand. Panisch suchte sie in der Menge nach Liron, so wie sie damals nach Johann gesucht hatte. Diesmal würde Arved nicht kommen, um sie zu retten. Langsam drehte sie sich um und entfernte sich von Gideon, um sich auf den Kampf vorzubereiten.
Ly, er will Wut und Zerstörung, das liebst du doch so. Du wirst meinen Körper nicht kriegen, aber ich könnte dich ein wenig zum Spielen rauslassen. Was ist? Klingt das verlockend? April wusste genau, dass Ly ihre einzige Hoffnung war all das zu überstehen.

Gideon ging noch gute vier bis fünf Meter weiter nach hinten, ehe er nun stoppte. Er verfolgte alle Bewegungen die April vor ihm machte, damit ihm auch ja nichts entging. In seinem rechten Ohr konnte er das vertraute Rauschen hören, doch dies ließ sich noch nie abstellen, stattdessen hatte es mit der Zeit eine Art beruhigende Wirkung. Man wusste immer, dass man jemanden bei sich hatte. Mit einem kurzen Blick in die Menge, stellten sich dort auch nun langsam die Gespräche ein, sodass sich immer mehr die Stille in der großen Halle breit machte. In einer Halle, wo jeder noch so kleiner Schritt einen Wiederhall erhielt, möge er noch so unbedeutend sein.

Zu erst war ihre Antwort ein Zischen, bis sich eine Stimme heraus kristallisierte. "Du schlägst mein Angebot an und jetzt kriechst du wieder an?" die Empörung war schwer zu überhören und für ein geschultes Auge war auch deutlich zu sehen, dass die bereit gestellten Scheiben bereits mit jedem Wort mit atmeten. Kurz herrschte wieder Stille, ehe April ihren Willen dieses Mal bekam. "Wenn ich deinen verdammten Körper schon nicht haben kann..." aus dem hin und her gerissenen Brummen wurde ein leises kichern. "Na wenigstens kann ich meinen Spaß haben." die langen dürren Finger legten sich von hinten auf April's Schulter. "Du musst nur für einen Augenblick die Kontrolle abtreten, dann können wir auch endlich spielen." säuselte das Grinsen in ihr Ohr.