Mit einem flauen Gefühl im Bauch drehte sich April zu ihrem Gegner um. Also gut. , willigte sie ein. Das widersprach nicht der Vereinbarung, die sie mit Liron getroffen hatte. Bisher war sie Gideons stechendem Blick ausgewichen, doch nun trafen sie sich erstmals. Wieso wollte er sie so dringend bekämpfen? Sie war sich sicher, dass er sie immer wieder so behandeln würde, bis sie nicht mehr als eine Hülle war, Willen- und leblos. Dann würde er sie zum Institut zurück tragen und sie Hodge zum Geschenk machen, als ein Souvenir oder etwas dergleichen. Nun konzentrierte sie sich allerdings nicht auf Gideon als ihren Anführer oder ihren Henker. Sie konzentrierte sich auf ihn als Arveds Mörder. Sie kanalisierte alle Wut auf Ihn, den Zorn, das Leid, die Enttäuschung, die Trauer. Hör zu, du musst mich stolz machen! Mach diesen Bastard fertig! Lass ihn leiden! Trotzdem schien sie zu zögern. Wie groß würde die Strafe werden, wenn er sie ernsthaft verletzte. Sie spürte ein ziehen in ihrem Bauch, die Glieder schmerzten. Sie dürfte jetzt auf keinen Fall schwach werden.

Ein lautes kichern erfüllte die Luft, um April herum. Gerade von den aufgestellten Glasplatten schien das Lächeln umso stärker gespiegelt zu werden. Das Glas zersprang, sammelte sich in der Luft, ehe die Scherben überhaupt auf dem Boden aufkommen konnten. Es wurden vielleicht drei normal große Fensterscheiben hingestellt, doch wie sich nun die Scherben nun immer mehr zusammen fanden, schienen es um weit mehr Glas als zuvor. Wie durch eine Windböe erfasst tanzte das, in dem Licht der Neonröhren leuchtende, Glas um April herum, sodass nur sie im Auge des Strudels stand, während außerhalb dessen die Scherben auf die umherstehenden Männern herunter fielen wie Hagel. Der größte Anteil fixierte sich zwar auf den weißhaarigen Mann, welcher zum greifen nah schein, doch auch die Zuschauer wurden in keinster Weise verschont. Kaum schossen die Splitter auf die Männer und Frauen, rissen sie sich auch schon wieder aus den Wunden und dem Boden hoch, um sich in der Luft wieder zu einem Schwarm zusammen zu finden. Unersättlich, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich frei gegeben zu werden.

Gideon hob schützend die Arme vor sein Gesicht, doch auch er wurde von den wilden Trümmern des Glases nicht verschont. Fast schon fasziniert beobachtete er den Strudel aus Scherben, vor ihm. Anscheinend hatte sich das Warten doch gelohnt, immerhin konnte er damit nun eine Seite an April sehen, die er nur sehr selten und in letzter Zeit gar nicht, zu Gesicht bekam. Auch war es nicht wenig erstaunt, dass sie nun keinen Unterschied zwischen ihrem Gegner und Umstehenden machte. Alle im allen, war Gideon recht zufrieden mit seiner Entscheidung, doch auch er hatte noch andere Pläne. Er gab die Hälfte seines Schutzes auf, indem er seine rechte Hand an sein rechtes Ohr legte. "Kannst du mich hören?"

Im ersten Moment verfolgte April selbst das Geschehen eher ungläubig. Über die Scherben hatte sie keine Kontrolle mehr. Ly , ermahnte sie ihn aufgebracht, da sie spürte wie stark ihr Körper bei der Nutzung der Kräfte widerstrebte und versuchte nachzugeben, Mein Körper hält das nicht ewig aus, die Zeit ist begrenzt. Konzentriere dich auf das eigentliche Ziel, konzentriere dich auf Gideon! Sie hoffte, er würde sie in seiner Gier überhaupt noch hören. Alles, was sie sah war Gideon, der kurzzeitig im Glashagel unterging. Er sollte so sehr leiden wie sie. Er sollte den Schmerz spüren, den er Arved angetan hat. Es sollte die Strafe dafür sein, dass er versuchte sie zu brechen und sie nun hier stand, um Liron stolz zu machen, weil er an sie glaubte. Viele Menschen hatten dies längst aufgegeben, einschließlich ihrer selbst. Doch kaum war Gideon untergegangen zwischen den Scherben spürte sie ein ziehen in ihrer Magengrube, welches unterschwellig stärker wurde. Vermutlich war sie wirklich zu schwach, um ihren Körper noch belasten zu dürfen. Sie hielt sich so schon kaum auf den Beinen.

Doch die Scherben verloren nicht einen Moment an Geschwindigkeit, viel mehr schienen sie noch schneller zu werden. Wieder konnte April das lachen hören. "Ist das Ziel nicht jeder hier? War dein Ziel nicht, die ganze Welt büßen zu lassen?!" wieder bäumte sich das Glasregen auf, um wenig später jeden Anwesenden als sein Ziel an zu visieren. "Endlich müssen wir uns nicht mehr zurück halten!" Und dennoch galt der nächste Angriff ganz allein Gideon. Es bildete sich ein zweiter Strudel, der den Mann von seinem Umfeld abschirmte, bereit ihn nie wieder gehen zu lassen.

Gideon musste sich eingestehen, dass es schwer war die Augen halbwegs offen zu halten, sodass er letztlich sogar ein paar Schritte zurück machte. Jedoch ließ das Durcheinander der Scherben, um ihn, nicht von ihm ab, sonder trennte ihn weiterhin von allem. Ein weiteres Mal hielt er sich die Hand an das Ohr und versuchte sich auf die Geräusche darin zu konzentrieren. "Ich finde, jetzt ist ein guter Zeitpunkt zu beginnen. Sonst verpasse ich die Show noch." erteilte er den Befehl. Immer wieder schnitt sich das Glas in seine Haut und er brauchte sich auch nicht um zusehen, um zu wissen, dass der nächste Angriff von April, sehr heikel für ihn ausgehen würde. Und dennoch rührte der Weißhaarige keinen Finger und ließ weiter alles über sich ergehen.

Nun rang April mit Ly um die Macht über ihren Körper. Damit meinte ich das Institut und jeden der Arved zu Nahe rückt! , entgegnete sie erbost. Immerhin war unter den Zuschauern auch Ly. Es ist genug! Der nächste Moment macht jegliche Diskussion überflüssig. Der Schmerz, der vorher nur ein Ziehen war, nahm nun rasant. "Fuck.", stöhnte sie und fand genügend Kontrolle, um sich die Hände auf den Bauch zu legen. Im nächsten Moment zog der Schmerz über ihren Rücken und raste blitzschnell in ihren Nacken auf. Ächzend warf sie den Kopf in den Nacken, ihre Knie begannen noch stärker mit Zittern. Was ging hier vor. Hiflos sah sie sich um. Ly, du musst sofort aufhören, bitte! , flehte sie. Halte es auf, das ist zu vi- Mit einem Schmerzensschrei rang es sie zu Boden, als der stechende Schmerz ihren gesamten Körper erfasste und durch jedes ihrer Glieder fuhr. Keuchend stützte sie sich auf dem dreckigen Boden ab, wo sie sich nur knapp abfangen konnte. Sie biss die Zähne zusammen und wollte sich erneut hoch drücken. So durfte das nicht enden, es waren so viele Zuschauer hier, dieser Tag war entscheidend und Gideon war noch immer ein Gegner. GIdeon! Hatte er etwas damit zu tun? Fragend blickte sie sich in der Halle nach ihrem Gegner um, der mit den Scherben zu kämpfen hatte, doch mit weiterem Ausufern der Schmerzen verschwamm ihre Sicht. Ihr Körper zuckte unkontrolliert und ihre Arme gaben nach, sodass sie komplett am Boden lag. Wieder versuchte sie sich aufzurichten, doch der Schmerz ließ sie nicht los. Verzweifelt wimmernd krümmte sie sich am Boden. Das Schauspiel setzte sich fort, sie lag nun in den eigenen Scherben, die mit ihrem Wimmern bebten und gierig in ihre Haut schnitten, sodass Blut aus den frischen Wunden lief. Erst war es nur ein Winseln und Wimmern, ein Keuchen und Stöhnen, doch es dauerte nicht lange und die Halle wurden von gequälten Schmerzensschreien erfüllt, während sich das Mädchen auf dem Boden krümmte und verzweifelt die Arme über den Kopf schlug. Tränen liefen der Rothaarigen übers Gesicht, welches rot anlief, sie flehte um Gnade und um Hilfe, sofern sie es schaffte ein Wort hervor zu bringen. Dabei hatte niemand in diesem Raum sie auch nur berührt.

"Was machst du denn?!" rief Ly entsetzt, als er spürte, wie ihm die Kontrolle genommen wurde. Die Scherben verharrten in ihren Bewegungen, bedrohlich, als warteten sie lediglich auf einen einzigen Befehl um ein weiteres Mal anzugreifen. Doch der Befehl kam nicht. Stattdessen fielen sie mit April klirren zu Boden, wo sie ein weiteres Mal zersprangen. Sie versuchten sich noch einmal kurz zu heben, doch am Ende blieben sie einfach kraftlos liegen. Ly hätte gerne geflucht oder wenigstens April, die offensichtlich dafür verantwortlich war, angeschrien, doch etwa ließ ihn nicht. Es war etwas anderes, wenn sie ihm einfach ihren leeren Körper überließ´, so konnte er die Grenze überschreiten und war an nichts mehr gebunden, doch in dem jetzigen Augenblick war er sehr wohl an ihrem zerbrechlichen Körper gekettet. Ihre Schmerzen, raubten ihm die Kraft aktiv zu werden, als würden ihre die Schmerzen an ihrem Körper, ihn in einen Käfig stecken, wo er sich nicht wehren konnte. "Scheiße!" fluchte er zwischen zusammen gepressten Zähnen. "Hättest du mir einfach nur deinen Körper überlassen..." das war das letzte was er noch sagen konnte, ehe sich seine Gestalt vor April auflöste. Damit war seine Chance dahin.

Gideon zupfte die gröbsten Glasstücken aus seinem Fleisch und ließ sie unachtsam zu den anderen auf den Boden fallen. Sein Kopf hob sich, als er das Mädchen auf dem Boden beobachtete, wie es sich immer wieder unter Schmerzen aufbäumte und schrie. Die Zuschauer erhoben sich nun langsam wieder, nachdem sie sich schützend zusammen gekauert hatten. Einige waren auch panisch aus der Halle raus, doch egal was man während des Hagels getan hatte, nun waren alle Augen auf das schreiende Mädchen zwischen all den Scherben gerichtet. "Seht ihr das?" erhob der Mann die Stimme. "So gehe ich mit Verrätern um. Tobt euch aus, wie ihr wollt, doch fallt mir dabei nie in den Rücken." Gideon stand nun vor dem Mädchen, auch wenn der Abstand zwischen ihnen immer noch zwei Schritte betrug. "Genug!" rief eine Stimme zur Antwort. dein dunkelhaariger junger Mann trat an den Rand des Vorsprunges.
"Liron..." murmelte der Angesprochene leise. "Noch lange nicht." sprach er dann lauter. "Deswegen ist sie doch hier." wieder wanderte seine rechte Hand zum Ohr. "Zeit für die zweite Runde." lautete der leise Befehl. Gideon drehte sich nun ganz zu dem Publikum um, die Hände nun in den Hosentaschen, die goldenen Augen deutlich auf Liron gerichtet. ""Hören wir diesen Schreien doch noch etwas zu, damit wir sie auch ja nicht vergessen."

Liron knirschte deutlich mit den Zähnen, während sein wütender Blick den belustigten von Gideon kreuzte. Zu hoffen, dass diese 'Verantslatung' für etwas anderes gewesen war, als für Aprils öffentliche Vorführung, wäre dumm gewesen und dennoch hatte er sich nicht davon abbringen lassen. Vielleicht trug genau diese kleine Hoffnung nun Schuld daran, dass er unfähig war, vor entsetzten, die Augen von dem Geschehen abzuwenden. Bereits, als er laut gerufen hatte, wollte er den Vorsprung verlassen und in den Hauptbereich der Halle hinunter klettern, doch einige seiner Kameraden hatten ihn festgehalten. Die Anwesenden teilten sich in diesem Augenblick in zwei Gruppen: Die, die unfähig waren weg zu schauen, war es nun aus Begeisterung oder Angst, und die, die angewidert die Augen senkten. Doch Liron weigerte sich zu der Gruppe dazugehören, die untätig dastanden und sich nicht regten. Er war doch für dieses Mädchen verantwortlich.

April vernahm Gideons Worte nur schwach. Es war schwer, die Umwelt noch zu erkennen, der Schmerz raubte ihr schier die Sinne. Auch dass Liron versuchte all das zu unterbinden, nahm sie schemenhaft war. Sie sah ihn nur aus ihrem Augenwinkel, sie sah eigentlich nur, dass es ein dunkelhaariger Mann war, doch sie wusste, dass es Liron war. Mehr hatte sie doch nicht. Hilflos blieb ihr Blick an ihm hängen. Sie hatte nicht die Kraft ihn anzuflehen. Sie wollte ihn auch nicht anflehen - es würde nichts ändern. Der Schmerz ließ nur für wenige Sekunden nach, als wollte man ihr die Chance verschaffen Luft zu holen, dann begann der Albtraum erneut. Der Schmerz nahm mit einem Mal noch stärker zu. Diesmal war ihr gellender Schrei mehr als nur markerschütternd. Schluchzend und schreiend wandte sie sich zwischen den Scherben umher. Wieso war es noch nicht vorbei? Wieso konnte sie nicht einfach das Bewusstsein verlieren? Nein, der Schmerz hielt sie wach. Der Schrei verwandelte sich in ein gurgeln, da sie nun auf dem Rücken lag. Spucke und Tränen sammelten sich in ihrem Mund, wollten ihre Kehle hinab. Jeden Moment würde sie an den eigenen schreien ersticken. Gequält zuckte sie, während die Tränen auf ihren schmerzverzerrten Zügen immer schneller rollten. Mit letzter Kraft warf sie sich auf die Seite und röchelte zwischen den Schreien. "bitte!", presste sie verzweifelt hervor, doch obwohl sie schrie, glaubte sie nicht, dass sie von jemandem erhört wurde. Was tat Gideon?! Er rührte nicht einmal einen Finger! Schluchzend schloss sie die Augen. Sie wollte arme und Beine an den Körper ziehen, doch sie schmerzten zu sehr, um überhaupt Kontrolle darüber haben zu können. Vor ihrem inneren Auge versuchte sie ein Bild von Arved hervorzurufen, um etwas zu finden, was sie beruhigte, doch es linderte die Schmerzen nicht. Wieder steigerte sich der Schmerz und zwang sie die Augen aufzureißen, während sie den Kopf mit einem Schmerzensschrei in den Nacken warf. Übelkeit stieg in ihr auf, weshalb sie nun dagegen ankämpfen musste, sich nicht auch zu übergeben. "Gideon!", flehte sie hilflos. "Bitte." Ihre Sicht flackerte, alles begann sich zu drehen. Sie stieß etwas Magensäure auf, aber im nächsten Moment kippte sie wieder ab und die Schreie füllten erneut die Halle.

Doch statt das Mädchen sofort zu erlösen, schritt der Mann nur an ihre Seite, hockte sich neben sie und neigte den Kopf. Sein Gesicht war zu einer genervten und angewiderten Grimasse verzogen, welche seine Worte nur noch unterstützte. "Einfach nur erbärmlich." zischte er, laut genug, damit sie ihn verstand. Danach erhob er sich wieder, die Hände in den Hosentaschen, einen gleichgültigen Ausdruck im Gesicht. Als er nun von dem schreienden Mädchen ging, wirkte es, als würde er ein kaputtes Spielzeug achtlos zurücklassen, doch innerlich wusste er als einziger, dass er sich ganz sicher dieses kaputte Spielzeug noch einige Male zum spielen holen würde. Immerhin hatte er seit kurzer Zeit ein neues Spielzeug dazu gewonnen. Bei dem Gedanken war es nicht mehr vermeidbar, dass er grinsend zu Liron aufsah, als er bei der kleinen Treppen zur Empore stand. "Dann bring sie mir mal wieder schön auf Vordermann."
An den weißen Mann stürmte ein wütendes Kind vorbei, was endlich von seinen Freunden losgelassen wurde. Während Liron sich also zu April kniete, verließ Gideon die Halle, ein weiteres Mal die Hand am Ohr. "Wir schieben eine kurzfristige Werbepause ein, ehe es weiter geht." pfeifend schlenderte der Mann durch die Gänge. In diesem Augenblick hätte jeder zu ihm kommen können und er hätte zu jeder noch so skurrilen Idee zugesagt, doch gerade aufgrund dieses Ausdrucks in seinem Gesicht, ging man ihm aus dem Weg. Dabei hatte der Tag gerade so schön begonnen.

Das Mädchen hörte auch nicht auf zu schreien, als Gideon sich zu ihr gesellte, doch sie wusste, was er sagte. Auch als er ging ließ der Schmerz nicht nach. Schluchzend und schreiend wandte sie sich auf dem kalten Boden, ohne das Besserung in Sicht war. Sie erkannte eine neue verschwommene Gestalt, die sich zu ihr kniete. Liron, es war definitiv Liron. Wer sonst würde in diesem Moment zu ihr kommen? Noch immer schreiend vor Schmerz schreiend versuchte sie die Hand nach ihm auszustrecken, damit sie wusste, dass er bei ihr blieb. Der Schmerz steigerte sich so sehr, dass es ihr jedoch unmöglich wurde. Es fühlte sich nun beinahe so an, als würde man versuchen ihren Brustkorb versuchen mit einem Messer aufzureißen. Es schmerzte so sehr, dass sie wie gelähmt war und ihr der Schrei in der Kehle stecken blieb, dann riss der Schmerz ab. Der Spuk war mit einem Mal vorbei. Die Anspannung riss ab, ihr Körper erschlaffte, wie ein Fisch an Land zuckte sie unter den bleibenden Schmerzen. Wimmernd zog sie nun Arme und Beine an den Körper. Für einen Moment herrschte Stille. Vielleicht würde sie es endlich schaffen in Ohnmacht zu fallen, damit es vorbei war. Sie spürte die Tränen über ihr Gesicht strömen, dabei wollte sie nicht einmal weinen, sie wollte nur, dass es vorbei ging. Und wieder konnte sie nicht mehr hervor bringen, als ihr leises Gebet: "Arved."

Liron kniete noch einen Augenblick unschlüssig vor dem zerbrochenen Mädchen, ehe er seinen eigenen Körper befehlen konnte sich zu bewegen. Doch ehe er seine Arme um sie legte, um sie hoch zu heben, musste er nach schauen, ob es irgendwelche äußeren Merkmale für ihre Schmerzen gab. Während des Kampfes hatte er Gideon sehr gut im Auge und hatte versucht jeder noch so kleinen Bewegung zu folgen. Jedoch hatte sein Anführer keinerlei Anzeichen von sich gegeben, die darauf schließen ließen, dass sein Angriff für ihre Schmerzen verantwortlich war. Stattdessen hatte er sich lediglich ständig den Kopf gehalten oder was die Handbewegung sollte, genaueres war von seinem Standpunkt aus nicht zu erkennen. Unter den stechenden Blick der restlichen Anwesenden in der Halle, hob Liron das Mädchen in seine Arme und trug sie in Richtung Ausgang. Es brauchte nicht die Blick, damit der junge mann wusste, dass er mit dieser Tat seine Stellung bei den Jägern fast einem Verräter gleichgestellt hatte, denn genau solch einer half er gerade. Man hatte ihn aufhalten wollen, ihm zur Besinnung kommen lassen, doch er hatte sich geweigert und war, statt seinem Anführer zu folgen, zu der gerecht bestraften Verräterin gerannt, um ihr zu helfen. Dazu hatte er sich auch noch in die Bestrafung eingemischt.
Seufzend schüttelte Liron den Kopf, damit die Gründe für seinen Stand als Verräter, ihn endlich in Ruhe ließen und er sich nun auf April konzentrieren konnte, da sie weitaus dringender Hilfe benötigte. Er wusste, dass kein anderes Zimmer für April vorgesehen war, als die kleine schwarze Zelle, doch er würde auf dem Weg noch bei dem Krankenzimmer vorbeischauen, damit sie nicht sofort in die Finsternis zurückkehren musste. Das konnte er weder mit sich selbst, noch mit irgendjemanden anderen ausmachen.

Als Liron sie hochhob, zuckte die Rothaarige unter den Schmerzen zusammen. Sie wollte nicht berührt werden, es fühlte sich an, als würde er direkt in offene Wunden greifen, die im selben Moment noch weiter aufreißen wollten. Winselnd presste sie den Kopf fester an die Brust ihres Beschützers. Schweiß lief ihren Körper hinab, beinahe so stark wie die Tränen ihre Gesicht. Verkrampft zuckte sie und wieder stieß sie Magensäure auf, die sie nur mit viel Überzeugung schaffte runterzuschlucken. Sie zitterte am ganzen Körper, obwohl dieser all das bis auf ein paar Kratzer ohne sichtbare Male überstanden hatte. Sie wollte Liron anflehen, sie loszulassen, da es schmerzte und er bereits zu viel getan hatte. SIe wollte ihn anflehen, sein Versprechen einzulösen, so schnell es nur ging. Er könnte sie auch einfach allein mit seiner Waffe lassen, er müsste es nicht einmal selbst tun, aber sie wollte endlich von diesem Leid befreit werden. Nur schaffte sie es nicht, auch nur ein sinnvolles Wort hervor zu bringen, gequält von all den Schmerzen. Scheinbar war Gideon mächtiger als gedacht. April wagte sich nicht auszumalen, wie die Zukunft für sie aussehen würde, wenn er sich weigerte, sie zu töten.

~
Der bittere Geschmack verschwand nicht aus seinem Mund, wie oft Liron auch versuchte ihn hinunter zu schlucken. Seine abendliche Ration von Essen wurde gekürzt und er hatte das Gefühl, man gab ihn die Reste von dem vorherigen Tag, da das Essen längst einen anderen Geschmack angenommen hatte. Dies war der erste Beweis dafür, wie ihn die anderen Mitglieder sahen. In den letzten 3 Monaten war noch einige Dinge hinzu gekommen, doch er weigerte sich sie zu zählen oder ihnen überhaupt Beachtung zu schenken. Er hatte in seinem normalen Tag kaum mehr Augen für sein Umfeld, da er in Gedanken ständig bei dem Mädchen in der der eckigen Dunkelheit dachte und wie er ihr Dasein erträglicher machen konnte, ohne sein Versprechen einlösen zu müssen. So auch heute. Er hatte der Küche einen kurzen Besuch abgestattet, da er ihr nicht länger sein Essen bringen konnte, und hatte dort nach etwas Obst gesucht. Nachdem er eine Schale von Äpfeln gefunden und sie schnell abgewaschen hatte, war er nun zu seinem routiniertem Besuch bei April. In den Jackentaschen drei Äpfel und im Schuh zwei Messer. Er rieb sich so eben die Schläfen, als er um die Ecke bog, in die Halle, von wo die einzelnen Zellen abging. Doch statt sie, wie gewohnt, leer vor zu finden, traf er hier nun drei Jäger an, alle vor der Tür zu April positioniert. Er hatte vorgehabt, sie einfach zu ignorieren und einfach ein zu treten, doch er schaffte es nicht einmal den Stahl der Tür zu berühren, da man sich ihm bereits in den Weg gestellt hatte. "Lass's gut sein." lautete der wohl gut gemeinte Rat einer der Männer, den Liron auch persönlich kannte. "Du musst schon genügend wegen der durchmachen."
Fall der dunkelhaarige junge Mann damit von seinem Vorhaben abgehalten werden sollte, klappte es nicht im geringsten. Der Blick dessen blieb ausdruckslos und unberührt, als hätte er die Worte gar nicht gehört, sondern nur ein lästiges Rauschen des Windes. Gereizt von der desinteressierten Haltung des Angesprochenen, packte der Mann, der eben gesprochen hatte, Liron bei den Schultern, die Augen in die kühlen seines Gegenüber gerichtet. "Es bringt überhaupt nichts, sich noch weiter aufzulehnen. Lass's endlich sein. Du warst mal unser bester Mann."
"Seit wann erlauben wir uns Zutraulichkeit?" ertönte die raue Stimme Lirons. "Hier heißt es: Jeder kämpft für sich. Also lasst mich durch."
"Aber du kämpfst für eine Verräterin. Außerdem is's uns verboten weder dich noch irgendjemanden rein zu lassen. Irgendwas is' da drin nämlich."
"Gideon?" selbst wenn er sprach, veränderte sich an ihm nichts. Nur die Mundbewegung und nun der leicht schräg gelegte Kopf verriet, dass er soeben etwas gesagt hatte.
"Nein, der is' hier nicht vorbeigekommen. Trotzdem brüllt und schreit das Weib ununterbrochen." es war wie ein Impuls, der nun den Körper des jungen Mannes erfasste, mit dem auch schlagartig Leben und Bewegung in dessen Körper gelangte. "Sie schreit?" flüsterte er fast. "Dann lasst mich gefälligst zu ihr!" nun war seine Stimme weitaus lauter geworden, als hätte es nur diesen einen Satz gebraucht, um ihn wütend zu machen.
"Ich warne dich und sag dir du kannst nich' und trotzdem willst du weiterhin dort rein?"
"Ich muss zu ihr! Sie braucht mich!" Liron zerrte an den Armen des Mannes und konnte sich am Ende endlich aus dessen Griff befreien, wodurch er jedoch einen Schritt zurück machen musste. "Außer mir hat sie niemanden mehr, also lasst mich verdammt noch mal durch!"
"Nein." wurde ihm von allen drei Anwesenden entgegenhalten. Auch wenn der Drang in die Zelle zu kommen immer größer wurde, da er keine Zeit verschwenden wollte, bemerkte er, dass irgendetwas in ihm sich freute, dass sie Widerstand leisteten. "Gut," er ließ seinen Nacken knacken. "Ich hab eh noch eine ganze Menge Wut in mir." während er sprach, züngelte sich eine erst ganz kleine Flamme aus seiner Schlagader, seines rechten Armes. Als würde sie durch das Blut auf seiner Haut gelangen, wanderte die Flamme nun in die halb offen stehende Hand und sammelte sich dort. "Bringen wir es also hinter uns." als hätte Liron zu der Flamme gesprochen zischte es zur Antwort und wuchs in nur einer Bruchteil einer Sekunde zu einem erstaunlichem Feuer heran.

Schmerzhaft schlug April auf dem Boden auf. Es dauerte einen Moment bevor sie verstand, was passiert war. Sie war von der steifen Pritsche gefallen, als sie sich vor schmerzen hin und her gewälzt hatte. In ihren Armen hielt sie fest umklammert Arveds Jacke, um sich vom kompletten Wahnsinn fernzuhalten. Als der Schmerz das erste mal begonnen hatte, hatte man noch nach ihr gesehen, zu ihr gekommen war jedoch keiner. Seitdem blieb es dunkel in der Zelle. Wieder flackerte der Schmerz auf. Sie schrie, doch es geschah inzwischen so oft, dass ihre Stimme in vielen Fällen versagte. Verzweifelt biss sie in den dicken Stoff der Jacke, um gegen den Schmerz anzukämpfen. Sie presste das Oberteil fester an ihren Körper und versuchte weiter zu atmen. Sie hatte inzwischen vieles versucht, um dagegen anzukommen. Sie hatte genügend Zeit dazu, doch nichts hatte bisher geholfen. Sie wusste nicht, wie lange sie schon in dieser Zelle war. Es war immer nur dunkel. Nur an wenigen Tagen konnte Liron sie befreien, damit sie zumindest einmal Baden konnte. In der vergangenen Zeit hatte ihr Körper stark abgebaut. Sie war blass, ihr Gesicht war eingefallen, dunkle Augenringe lagen unter ihren Augen, sie war unterernährt und dehydriert. In den letzten Wochen fiel es ihr zunehmend schwerer, sich zu bewegen. Allein das aufsetzen kostete sie zu viel Kraft. Wenn sie nun duschen sollte, war sie komplett von Liron abhängig. Alleine konnte sie nichts mehr. Ab und zu blickte Gideon vorbei, aber sie hatte das Gefühl, dass sie zunehmend uninteressanter für ihn wurde. Sie wusste nicht mehr, worauf sie warten musste oder wie lange. So oft hatte sie Liron bereits angefleht, doch er weigerte sich, dabei wurde der Schmerz immer schlimmer, immer stetiger und alltäglicher. Trotzdem war sie noch hier.

Innerlich fluchend, dass er zu nachlässig geworden war, wischte sich Liron das Blut aus seinem Gesicht, was aus der Platzwunde an seiner Stirn lief. Er hatte schon schlimmeres erlebt, sodass dieser kleine Kratzer ihn nicht in geringsten störte, doch er zeigte ihm, dass er nachgelassen hatte. Nachdem er also den bewusstlosen Körper einer der Männer mit dem Fuß beiseite geschoben hatte, konnte er endlich die eiserne Tür öffnen, die ihm mit der Zeit so vertraut geworden ist. "April?" kündigte er sein Ankommen an. Als er die Stimme erhoben hatte, war ihm sein eigentlicher Grund für sein Kommen wieder eingefallen, sodass er sich eilig nach dem Zustand der Äpfel mit einem Blick erkundigte. "Ich bin's, Liron." diese Worte waren eigentlich überflüssig, da hier sonst niemand für gewöhnlich war, doch wie er gerade eben festgestellt hatte, hatte sich anscheinend in seiner Abwesenheit verändert. Mit zügigen schritten war er bei der Zweiten Tür und zog diese auch sofort auf, sodass der schmale Lichtstreifen hinter ihm, die dahinterliegende Finsternis wie ein Messer durchschnitt. Vielleicht hatte er gehofft, das die Männer vorhin gelogen hätten, doch es brauchte nur einen einzigen Blick auf das Mädchen auf dem Boden, um zu wissen, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen. Wieder landete Liron schroff auf den Knien, neben April, die Hände nach ihren zarten, fast schon zerbrechlich dünnen Schulter ausgestreckt, um ihr seine Anwesenheit zu versichern. "April! Kannst du mich hören? Was ist passiert?" fragte er, als könne der damit eine Lösung gegen ihre Schmerzen finden. Jedesmal wenn er sie so sah, musste er an den Beginn dieser Abläufe denken und wie damals, konnte er auch nun nicht das geringste tun. Stattdessen blieb er die ganze Zeit bei ihr, verteilte leere und bedeutungslose Versprechen und trug die Hoffnung für ein Mädchen in sich, welches ihre eigene Hoffnung vor ihren Augen sterben sehen musste. Er war mindestens genauso erbärmlich wie machtlos. "Bitte April... Halte durch..."

April sah Liron an. Es dauerte einen Moment, bevor sie sich an die Helligkeit gewöhnte, doch inzwischen erkannte sie trotz der brennenden Schmerzen recht gut, wer bei ihr war. Ihre großen Augen waren auf ihn gerichtet und sie schüttelte nur leicht den Kopf. Es war noch nicht vorbei. Der Schmerz würde kurz flackern und dann noch einmal unerträglich werden, bevor er für eine gewisse Zeit vorüber war und die Tortur schließlich von vorne begann. Die glasigen Augen hingen verzweifelt an Liron. War er dieses Mal dazu bereit? Der Gedanke musste warten, da sie im nächsten Moment einen undefinierbaren Laut von sich gab und das Gesicht sich durch den aufkommenden Schmerz verzog. Hilflos wimmernd zog sie die Jacke vor ihr Gesicht und sog ein letztes Mal den langsam verbleichenden Geruch ein, bevor sie in den schwarzen Stoff bis, um die Schreie zu dämpfen. Unkontrolliert zuckte ihr schwacher Körper, während die Laute, die ihrer Kehle entweichen wollten, immer dringlicher und verzweifelter wurden. Die Finger vergruben sich in dem schwarzen Stoff und zerdrückten ihn, bis sie glaubte, den Stoff beinahe zu zerreißen. Es war jeden Moment vorbei. Sicher war es jeden Moment vorbei. Doch der Schmerz steigerte sich weiter. Weinend wandte sie sich nun in Lirons Armen, ohne etwas dagegen tun zu können. Er hätte sie so nicht so sehen sollen, nicht schon wieder. Es sei denn, er war endlich bereit.