Ohne eine Regung starrte April ihr Spiegelbild an. Sie wusste nicht, wie lange sie dies schon tat. Eine weile, vermutlich. Man ließ sie warten, bloß wusste niemand mehr, worauf. Sie war allein aufgewacht nach der Nacht im Delirium. Sie konnte sich an nichts genaues mehr erinnern, obwohl sie wusste, dass man es nicht Schlaf nennen konnte, womit sie die Nacht verbracht hatte. Der Schmerz saß in all ihren Gliedern und sie konnte Traum nicht mehr von Realität unterscheiden. War Liron wirklich hier gewesen oder wurde sie langsam wahnsinnig? Erst als sie die Fremde Jacke entdeckte, konnte sie sich davon versichern, dass es wirklich so gewesen war. Nun jedoch war sie allein. Allerdings nicht für lange Zeit. Liron tauchte schon wenig später wieder auf. Sie verstand nicht genau, was geschehen war, sie wusste nur, dass es etwas mit Gideon zu tun hatte. Wieder wusch man sie, zog sie an, kämmte ihr Haar. Es war eine Prozedur, der sie immer nur unterzogen wurde, wenn Gideon etwas mit ihr vor hatte, doch inzwischen konnte sie kaum alleine stehen, geschweige denn laufen. Ihre Abhängigkeit von Liron wuchs von Stunde zu Stunde. Aber trotzdem saß sie nun hier. Es war ein hässlicher enger Raum, grau, aber imm Gegensatz zu ihrer Zelle grell beleuchtet. Alles, was der Raum zu bieten hatte war ein Tisch und ein einzelner Stuhl, beides aus einem kalten metallgestell geschmiedet. Die Wand gegenüber des Stuhl wurde vom einem großen Spiegel geziert. Sie wusste genau, dass man sie beobachtete, sie war in diesem Schaukasten eines verhörraums gefangen. Was würde als nächstes kommen? Sie wollte nicht länger zur Schau gestellt werden. Und vorallem, wenn sie sie doch beobachteten, wieso musste sie schon so lange warten? Wieso machte Gideon dem kein Ende? Wieso dieses psychospiel? Ihre Augen verschmälerten sich, als könnte sie durch den Spiegel blicken und etwas erkennen. Und sie hoffte innerlich, dass ihr Blick irgendjemanden traf, der genau das glauben würde. Sie war allein in diesem Raum, Liron durfte nicht zu ihr. Die Tür wurde streng bewacht. Vielleicht war es ja er, der hinter der Scheibe lauerte, in der Hoffnung sie beschützen zu können. Zumindest war es dieser Gedanke, der sie auf ein gutes Ende hoffen ließ.

Gideon hatte eine Hand unter das Kinn gelegt und den dazugehörigen Arm auf seinen anderen abgestützt. Er stand einen guten Schritt entfernt von dem Fenster, die Augen in das Innere des dahinter liegenden Raums geheftet. Es wirkte, als würde er ein Tier beobachten. Ein Tier welches er frisch in seine Sammlung aufgenommen hatte und nun interessiert zusah, wie es sich in seinem Käfig einlebte. Doch anscheinend schien sich das Tier im Moment noch etwas verloren vor zu kommen, nur gut, dass es gleich ein Spielzeug erhielt. Mit ihm stand noch ein weiterer Mann in dem kleinen Raum hinter dem Spiegel. „Ich denke es an der Zeit, wir haben lang genug gewartet.“ Mit diesen Worten verschwand der Mann durch die Tür, ohne ein Wort, doch bevor die Tür wieder zufallen konnte, hielt Gideon sie auf und steckte stattdessen seinen Kopf nach draußen. In dem etwas breiteren Gang, der die beiden Räume und noch zwei weitere verband, standen drei Männer. Zwei welche die Tür zu dem Käfig bewachten und einer der direkt vor diesen beiden Männer gegen die Wand gelehnt stand, die Arme vor der Brust verschränkt, die kühlen, von Zorn zeugenden Augen, auf die Tür gerichtet. Wenn Gideon den jüngeren der drei Männer betrachtet, welcher sich weigerte die Tür auf nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, kam ein Bild in ihm auf, was er lieber nicht gesehen hätte. Er fühlte sich durch diesen Anblick an eine ähnliche Situation, welche schon ein ganzes Stück her war, wieder erinnert. Damals stand ebenfalls ein Junge vor einer Tür, Arme verschränkt und den Blick wild entschlossen. Er hatte damals auch nicht den Raum betreten dürfen, egal was er zu hören glaubte und wie dringend sein Verlangen auch war. Doch dieser Junge wurde mit der Zeit falsch erzogen und musste von ihm vor einigen Monaten wie einen tollwütigen Hund erlegt werden. „Ach Liron,“ jammerte Gideon gespielt. „Wie lange willst du diese Tür denn noch anstarren? Ja, sie sitzt dahinter, na und? Die Tür wird sich nicht auflösen, egal wie lange du sie anstarrst.“
Liron rümpfte die Nase und gab die genannte Tür nun für einen Augenblick von seinem stetigen Blick frei. „Und warum kann ich bitte nicht zu ihr? Sie anziehen, hübsch zu machen, sie hier abliefern, das darf ich, aber im entscheidenden Moment bei ihr zu sein, verweigerst du mir. Warum?“
„Ganz einfach, weil sonst das Kommende nicht so ausdrucksstark verlaufen würde. Glaub mir, es ist gut so. Außerdem, “ setzte er nach einer kurzen Pause an. „Machst du das super. Nur Schade, dass dein Anblick mehr dem eines Hundes ähnelt.“
Doch Liron erwiderte nichts darauf, sondern richtete den Blick wieder trotzig zur Tür, stattdessen wurde ihre Unterhaltung auch noch durch das Ankommen zweier weiterer Männer unterbrochen. „Ah, er ist endlich da.“ Rief Gideon freudig und sperrte die Tür weiter auf, damit alle in den kleinen Raum eintreten konnten. Da er der Neugierde zu schnell nachgab, drehte Liron den Kopf noch ein letztes Mal in die Richtung der Männer, die nun den Raum betraten und auf die Gideon so lange gewartet hatte. Doch was er dort sah, waren zwei Augen die seinen Blick erwiderten. Kühl und dennoch ausdruckslos, sodass er nicht einmal ansatzweise erahnen konnte, was in einen der Männer vor sich ging. Er kam nicht dazu etwas zu sagen, denn ehe er wieder fähig war Luft zu holen, wurde die Tür auch schon geschlossen. Mit Hektischem Blick sah er zu den beiden Männern vor ihm. „Ich muss da jetzt wirklich sofort rein!“

Gideon nahm wieder die gleiche Position ein, die er auch zuvor hatte, doch galt nun die Aufmerksamkeit nicht länger dem Tier, sondern den beiden Männern, die nun neben ihm standen. Direkt neben ihm stand derjenige, mit dem er wohl am besten reden konnte, da der andere lediglich eine Art Bote war. Als stände nun ein weiteres Tier neben ihm, musterte Gideon den Mann an seiner Seite, darauf bedacht auch ja jede Reaktion von ihm mitzubekommen. „Sie sieht dürr aus.“ Lauteten die ersten Worte des Mannes, ohne dass sich etwas in seinem Gesicht regte.
„Oh ja…“ bedächtig nickte Gideon und warf dem Tier hinter der Scheibe nun doch einen Blick zu. „Aber das scheint ja eh wieder in die Mode zu kommen.“ Fügte er hinzu, mit einem Seiten Blick auf den Mann. „Und warum muss ich mir das jetzt hier ansehen? Gerade jetzt?“ nun war es der Mann der Gideon genervt ansah.
„Oh, das werde ich dir gleich zeigen.“ Mit einem vergnügten Gesichtsausdruck nestelte der Weißhaarige in seiner Hinteren Hosentaschen herum, ehe er ein Messer mit einer passenden Hülle heraus zog. „Alles zu erklären macht es nur komplizierte und zieht es unnötig in die Länge.“

Gequält verzog das Mädchen das Gesicht und begann hilflos zu winseln. Ein brennender Schmerz durchzog Aprils linken Arm. Langsam zog er sich von ihrem Handrücken über ihren Unterarm. Ihr Blick raste zu dem zitterndes Arm, sie wollte ihn heben und bewegen, doch es schmerzte zu stark. Verzweifelt glitt ihr Blick weiter zur Scheibe. "Hör auf damit!", flehte sie nun die Person an, die sich feige hinter diesem Spiegel verbarg. Gequält biss sie die Zähne zusammen und schluchzte unterdrückt. "Bitte! Bitte, lass es endlich sein." Ein Schmerzensschrei überwand ihre Lippen, bevor das stechende Gefühl ihren Arm verließ und einen betäubenden anhaltenden Schmerz zurück ließ. Kraftlos sank ihr Kopf auf die Tischplatte, ohne die Scheibe aus den Augen zu lassen. "Es tut so weh." Ihr Körper zuckte bei jedem Schluchzer. "Mach dass es endlich aufhört..."

Gideon holte tief Luft, ehe er sich seinen Gästen wieder zu wandte. „Ist es nicht herrlich? Früher hat unser kleines Mädchen hier alles daran gesetzt keine Schmerzen oder ähnliches nach außen zu lassen und jetzt kannst du ihr einfach alles ansehen. Alleine wie sie immer so herrlich um Erlösung bettelt.“
„Sadist.“ Lautete das Wort auf sein gesagtes.
„Wieso? Ich finde so etwas nur so schön unterhaltsam, vor allem wenn man dauern unter den Jägern ist, welche mit der Zeit aufhören, Privates mit dem ‚Beruf‘ zu vermischen, da es nicht länger getrennt ist. Ein bisschen mehr Emotionen tun hier unten doch mal ganz gut.“
„Sag ich doch, Sadist.“ Der Mann neben ihm verzog keine Meine, sondern betrachtete nur weiterhin ausdruckslos das Mädchen hinter der Scheibe. „Hast du mich deswegen gerufen?“ die Blickrichtung wechselte und Gideon trug nun die Augen auf sich. „Nein. Du hast recht!“ er klatschte einmal in die Hände, als würde er sich selbst daran erinnern, dass noch etwas weit aus wichtigeres anstand. „Wir sollten die Hauptattraktion nicht länger hinaus zögern. Also folge mir doch gleich mal. Ich muss dir nämlich unbedingt jemanden vorstellen.“ Sofort ging Gideon voraus, öffnete erneut die Tür und trat hinaus auf den Gang, gefolgt von den Männern. Auf dem Gang angekommen gab er den Männern neben der Tür, mit einer Art wedelnden Bewegung, das Zeichen beiseite zu treten, damit er die stählerne Tür entriegeln und aufziehen konnte. „Was hast du jetzt vor?“ rief Liron, welcher nicht im Traum daran dachte, untätig an der Seite zu stehen.“Was hast du mit ihm vor?!“ sein abfälliger Ton war nicht zu überhören.
„Gar nichts.“ Antwortete der Mann unschuldig und grinste seinen Vertrauten breit an. „Ich will ihm nur jemanden vorstellen. Vertrau mir, dass wird lustig.“ Ein kurzes Zwinkern zu Liron und ein aufforderndes Nicken zu dem Mann, dann schob er die Tür auf. Gideon betrat als erster den Raum und blieb im ersten Augenblick auch der einzige, der diesen betrat. „Einen wunderschönen guten Tag, April. Oder vielleicht lieber, guten Morgen. Wie ich hörte und auch gerade sehe, scheint es dir ja bestens zu gehen. Es ist lange her das wir uns so gesehen haben.“ Er legte seinen Köpf schräg, als würde er ein Kunstwerk von seiner Hand betrachten. „Aber deswegen bin ich gar nicht hier. Ich will dir jemanden vorstellen. Komm endlich rein!“ rief er nach draußen und seinem Befehl wurde auch sogleich Folge geleistet. Nun betraten die Zwei Männer den viel zu engen Raum, beide in den typischen schwarzen Jäger Kluften gehüllt, doch zu den Füßen des einen, tropfte unentwegt Blut. Blut aus einer frischen Wunde.

Als man die Tür öffnete, wischte April sich eilig übers Gesicht und richtete sich wieder zitternd auf. Es war Gideon, der den Raum betrat, das erkannte sie im Spiegel und letztlich auch an seiner Stimme. Schweigend ließ sie die Kommentare über sich ergehen, doch als er einen weiteren Besucher ankündigte, entschied sie sich diesem zuzuwenden, ohne großartige Freude darüber zu verspüren. Vor wie vielen Menschen sollte sie noch gedemütigt werden? Langsam drehte sie sich auf dem knarzenden Stuhl um und noch während sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht bewegte, glitt ihr Blick zu den Fremden, die nun eintraten. Ein goldenes Auge stach ihr entgegen, es sah aus wie Gideons, doch das andere strahlte in einem grellen blau. Ein lautes Scheppern ertönte als der Stuhl kippte und zu Boden fiel. April war mit einem Satz auf die schwachen Beine gesprungen und realisierte es erst mit dem Krach des auftreffenden Metalls. Zittrig blickte sie den Besucher an, doch war Wut das erste Gefühl, was sie überkam.
"Was soll das?!", schrie sie Gideon aufgebracht an, während sie sich am Tisch festhielt, weil sie jeden Moment in Ohnmacht zu fallen schien und ihre Beine sichtlich nachgaben. "Was ist das für ein krankes Spiel?! Ist das wieder eine deiner sinnlosen Illusionen?!" Sie traute sich nicht, den Mann anzusehen, aus Angst, dass es nur ein Trick war. "Oh Gott!", sie schnaubte, doch dies tat sie nur, um zu überspielen, wie nah sie den Tränen stand. Sie überwand sich, den jungen Mann anzusehen, und schlug dann die Hände über den Mund, um den lauten verzweifelten Schluchzer zu unterdücken. Sofort sank sie etwas mehr zusammen, die Knie bereits gebeugt. Nun übermannten sie andere Gefühle, viele Gefühle, diesich gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Langsam machte sie zwei wankende Schritte auf ihn zu, bevor ihre Beine sie nicht mehr zu tragen vermochten. "Was hast du ihm angetan, Gideon?", schluchzte sie als sie vor dem Schwarzhaarigen auf die Knie sank und in Tränen ausbrach. Blut rann aus seinem Arm, in dem ein tiefer Schnitt klaffte - links, vom Handrücken in den Unterarm. Die blasse Haut, die sie sehen konnte war von Narben übersät; von Wunden, die nicht alle verheilt waren; Wunden, die noch offen waren; blauen, roten und grünen Flecken. Er hatte abgebaut, dunkelblaue Schatten lagen unter seinen Augen. Unter dem goldenen Auge sah sie eine rote Narbe, die noch nicht sehr lange dort sein konnte. Man hatte ihn ebenso wie sie herausgeputzt, sogar seine Haare erschienen etwas kürzer seit ihrer letzten Begegnung, und doch sah er ebenso wie sie kraftlos und verwahrlost aus. Schluchzend blickte sie zu ihm auf, während die Tränen über ihr Gesicht strömten. "Du warst tot... Du warst tot... Dein Puls.. Du hattest keinen Puls mehr...", murmelte sie immer wieder ungläubig. "Du warst einfach weg..." Ihre Tränen rannen noch schneller, noch stärker. All ihr Leid war das seine gewesen. "Es tut mir so Leid..." Schwer schniefte sie und versuchte genügend Luft zu bekommen. "Arved..."

Der Mann, den April den Namen Arved gab, sah mit undurchsichtigem Ausdruck im Gesicht zu dem Mädchen vor seinen Füßen herab. „Warum entschuldigst du dich?“ erklang seine Stimme, rauer und dunkler als noch vor einiger Zeit. Als würde er es nicht verstehen, wanderten seine Augen an sich herab, bis sie bei seinem blutenden Arm ankam. „Ach deshalb?“ er hob den Arm an, als würde diese Tat keinerlei schmerzen mit sich ziehen. „Keine Sorge, irgendwann hört man auf es zu spüren.“ Während er sprach veränderte sich seine Stimme kein einziges Mal, sondern blieb die ganze Zeit monoton, als würde er über etwas ganz banales oder langweiliges reden. Unachtsam ließ er den Arm wieder sinken, den Blick abwartend zu Gideon gerichtet.
Dieser nahm das Wort auch gleich an sich, drückte sich von der Wand ab, an die er bis soeben gelehnt hatte und warf Arved einen Arm auf die Schulter. „Ist er nicht prima geworden?“ fragte er, dieses Mal wieder an April gerichtet. „Das mit dem Puls ist leider meine Schuld, der hätte den ganzen Plan sonst zur Nichte gemacht. So ein kleines pochendes Herz, macht ganz schön viel Ärger, nicht wahr?“ vergnügt den Kopf in Schräglage gebracht, betrachtete Gideon ebenfalls das Mädchen vor ihnen auf dem Boden. „Du kannst dir sicher vorstellen woher deine ganzen schlaflosen Nächte herkommen. Aber wie immer habe ich recht behalten. Ich trage keinerlei Schuld daran, dass sie Schmerzen durch macht. Das war nun wirklich seine Schuld.“ Daraufhin klopfte er einmal auf die Schulter des Schwarzhaarigen an seiner Seite. Als Gideon noch etwas hinzufügen wollte, wurde er durch das kurze protestieren der Männer von der, leider nur angelehnten Tür, unterbrochen. Kurz darauf wurde die Tür aufgestoßen und Liron stapfte in den Raum und nahm unmissverständlich die Position an Aprils Seite ein. „Langsam reicht es wirklich. Seit wann machst du bitte gefangene und das auch noch über einen solch langen Zeitraum?! Gerade einen Hund!“
„Wieso denn nicht? Gerade wenn es so viel Unterhaltungspotential besitzt, darf man Dinge doch nicht einfach so wegwerfen.“ Grinsend hockte Gideon vor April. „Freust du dich denn nicht den Köter endlich wieder zu sehen? Wie Unkraut diese Viecher, nicht wahr?“

Ungläubig betrachtete April ihren Welpen durch den Tränenschleier, doch als er sprach senkte sie den Kopf. Diesen Blick kannte sie. Er erinnerte sich nicht an sie oder er erinnerte sich nicht mehr an sich selbst. Sie nahm das Gespräch zwar wahr, doch beobachtete sie währenddessen nur, wie ihre Tränen auf den dreckigen grauen Boden fielen. Arved war die ganze Zeit am Leben gewesen, man hatte ihn gefoltert und willig gemacht und sie hatte ihn nicht beschützen können. Für einen Moment schloss sie die Augen. Das Band war immer noch heil, doch auch als sie dieses Mal die Dunkelheit abtastete, streckte niemand ihr hilfesuchend die Hand entgegen. Sie wanderte das Band entlang, rief seinen Namen, doch es blieb still. Irgendwann erreichte sie das Ende. Sie hatte vorher immer gedacht, sie käme an dieser Stelle nicht weiter, weil Arved tot war. Das unsichtbare Band führte weiter in die Dunkelheit, doch sie kam keinen Schritt weiter, als wäre dort eine Wand. Nun wusste sie, jemand wollte nicht, dass sie ihn hörte. Dieser jemand konnte Arved sein, doch vermutlich war es Gideon. Aber jetzt war Arved ihr so nah. Eine Stimme drang an ihr Ohr, Gideons Stimme. Sie schlug die Augen auf und musste feststellen, dass er bereits bei ihr hockte. Sein Grinsen ließ ihr jedes Mal einen Schauer über den Rücken laufen. Und doch, so willkürlich es auch war, entfuhr ihr ein hilfloses leises Lachen. Sie lächelte Gideon an, obwohl in ihrem Lächeln so viel Qual lag, und nickte schnell. Um das Lächeln, welches seit langer Zeit nicht hatte strahlen können und noch immer schmerzte, nicht zu verschwenden, sah sie auf zu Arved. "Hauptsache, er lebt." Das war alles, was für sie zählt. Sie hatte ihn schon einmal überzeugen können, sie würde es auch ein weiteres Mal schaffen. SIe würde ihn nicht aufgeben. Er war alles, was in ihren Leben auf eine seltsame Weise Sinn ergab. Sie hatte so viel gelitten, er hatte so viel für sie leiden müssen, sie wollte dies nun nicht alles umsonst sein lassen. Sie war so froh. Er lebte. Und eines Tages würde sie Gideon dafür büßen lassen, was er ihrem Welpen angetan hatte, angefangen bei seinen Augen.

Der Schwarzhaarige sah ein weiteres Mal auf das Mädchen herab, doch als dieses nun den Kopf hob und ihm ein gequältes Lächeln schenkte, wanderten seine Augen schnell zu Gidoen vor ihr, weiter. "Noch irgendwas wichtiges, was du mir zeigen willst?"
Der Angesprochene stützte die Hände auf die Oberschenkel, um sich damit nun wieder gerade aufzurichten, die goldene Augen auf April gerichtet. Man konnte ihm nur zu deutlich ansehen, wie froh er mit seinem Schaffen war und wie Stolz er auf die Früchte seiner Arbeit war. "Ist das nicht ein wenig unfreundlich ihr gegenüber? Ihr habt euch doch eine ganze Weile jetzt nicht gesehen. Mehr als Drei Monate, nicht wahr?" nachprüfend sah er zu Liron und spielte damit auf ihr letztes Gespräch an. Dieser funkelte Gideon nur weiterhin wütend an, die Position schützend neben April eingenommen.
"Aber nein," fuhr Gideon nun fort. "Ich habe dir für heute, hier oben nichts mehr zu zeigen."
Daraufhin nickte Arved knapp und ohne das rothaarige Mädchen noch einmal mit einem Blick zu würdigen drehte er sich um. Sie sah er zwar nicht an, aber dafür den Mann an ihrer Seite. Nur dieses Eine Mal ließ er es zu, dass sein Blick nicht länger seine Absichten und Gedanken verschlossen hielt, sodass der hasserfüllte Blick nun ganz allein Liron galt. Mit zwei Schritten, hatte der Schwarzhaarige den Raum verlassen und verschwand, an seiner Seite den zweiten Mann, aus der Sichtweite. "Aber denk dran, dass ich noch einiges heute vor habe!" rief der zurückgelassene Gideon Arved hinterher, ohne eine Antwort zu erhalten. Als er wieder die zwei vor sich betrachtete kam er nicht umhin tief Luft zu holen und diese lautstark wieder aus seiner Lunge entweichen zu lassen. "Ist es nicht wunderschön? Ihr glaubt gar nicht, wie viel Arbeit da drinnen steckt und endlich war das Wiedersehen." ein weiteres Mal klatschte der Mann einmal in die Hände. "Dann denke ich, das war's erstmal. Wer weiß, vielleicht fällt mir noch etwas ein, für euch beide. Dich müssen wir ja mal auf die Reihe kriegen." der Mann setzte einen entschuldigenden Blick auf, als er weiter sprach. "Sei mir nicht sehr böse, wenn du heute wieder nicht ganz zur Ruhe kommen kannst. Doch ich habe da unten wirklich alle Hände voll zu tun." nickte er bedächtig, die Hände in die Hose gestopft und ein vergnügtes Funkeln in den Augen.

April starrte Arved verzweifelt hinterher. Sie wollte ihm hinterher rufen, doch kein Ton entwich ihren Lippen. Sehnend blickte sie zur Tür, doch dann glitt ihr Blick zu Gideon. "Wann?", fragte sie ihn und ihre Stimme schien erstaunlich klar für ihre Tränen. "Was kann ich ihn wiedersehen?", präzisierte sie ihre Fragen direkt. "Was willst du, was muss ich tun? Ich will nicht, dass ihm auch nur, nur ein einziges, Haar gekrümmt wird." Ihre Stimme zitterten und ihre Augen begannen entschieden zu funkeln. "Ich würde alles für ihn tun." Leise schluchzend rieb sich April über die Augen und versuchte die Tränen zu unterdrücken. "Wieso? Ich verstehe es einfach nicht. Wieso musste er sterben, wieso musste er leiden? Er erinnert sich nicht an mich? Was hast du ihm angetan? Wie sehr musste er leiden, um zu vergessen?" Kurz wankte sie und hielt sich verzweifelt den Kopf. Die Finger gruben sich in ihr dichtes rotes Haar. "Wieso?!", schrie sie aufgebracht und schlug verzweifelt auf den Boden.

Gideon tat es Arved gleich, in dem er einfach auf das Mädchen hinab sah und sie in Ruhe machen ließ, nur zeugte sein Blick ganz klar von Belustigung. "Immer diese leeren Fragen: Wieso, Warum, was hab ich getan, dass ich das verdient habe..." theatralisch seufzend hob er die Schulter, um sie wenig später wieder sinken zu lassen. "Denkst du nicht, dass es für diese Drohung nicht ein wenig zu spät ist? Jedes Mal wenn du vor Schmerzen ach so laut geschrien hast, weil du es nicht mehr ausgehalten hast, hat er die doppelte Intensivität dieser Schmerzen erduldet. Hinzu kommt, dass er nur die ersten paar Wochen geschrien hat, du machst es ja immer noch." brummte er, mit einem skeptischen Blick auf sie. "Ich hasse Hunde. Das tue ich aus völliger Überzeugung. Mir ist dabei völlig gleich wer mir vors Messer läuft, ich bin dankbar, für jeden den ich töte. Mit deiner Entscheidung von den Hunden abzuwenden und zu uns zu kommen, hättest du wissen sollten, dass dir dein Köter nachläuft und das er damit zum idealen Spielzeug wird. Fast, als hätte er sich dafür freiwillig gemeldet."
"Das reicht." unterbrach Liron Gideon erneut, doch eine einzige Handbewegung reichte, damit er verstummte, bevor er etwas hinzufügen konnte. "Ich beantworte hier doch nur ihre Fragen. Fragen die du ihr nie beantworten könntest. Wenn du ihr also helfen willst, dass bist du eher unten besser aufgehoben, denn bei ihr wirst du keine Schmerzen lindern können. Derjenige der sie erleiden muss, hatte in all der Zeit keinen einzigen an seiner Seite, der ihn beruhigte." Gideon entschied sich das Gespräch damit als Beendet zu erklären, doch als er sich zur Tür umdrehen wollte, bemerkte er einen Fehler in seiner vorherigen Aussage. "Ah, Nein, das ist so nicht ganz richtig." breit grinsend drehte er den Kopf über die Schulter, eine Hand aus der Tasche befreit und mit erhobenen Zeigefinger halb in die Luft gestreckt. "Ich war fast immer an seiner Seite, also war er nicht so alleine."

Jedes Wort Gideons ließ April ein wenig mehr schluchzen. Um es zu unterdrücken, presste sie nun beide Hände auf den Mund. Ihre Augen wurden starr und glasig. Er hatte recht. Sie war nie für Arved da gewesen. Nicht sie hatte all dies erleiden müssen. Er hatte all den Schmerz am eigenen Körper erfahren müssen und Gideon hatte erst Gnade walten lassen, als er sein vorheriges selbst vergessen hatte. Es war alles Ihre Schuld. Sie war immerhin mit ihm weggelaufen, hatte sie gegen hodge und Gideon zu wehr gesetzt, doch am Ende war sie auch zu schwach, um Arved zu beschützen. Ihre Schuldgefühle ließen auch nicht nach, obwohl sie wusste, dass Arved immer noch lebte. Aber was nützte ihr dies, wenn sie ihn nicht sehen dürfte. Als Gideon sich an Liron wandte, wurde April aufmerksamer. Hatte Liron davon gewusst? Wieder senkte sie den Blick. "Ich will zurück in meine Zelle..."

"Das sehe ich anders." erwiderte Gideon, ohne sich von seinem platz zu rühren und sah sie daher immer noch über die Schulter hinweg an. "Jetzt da du weißt woher alles kommt, ist die Zelle nicht länger von Nöten. Du wirst dich nicht länger dort verkriechen können. Drei Monate sind lang, auch wenn ich die Zeit als sehr kurz empfand, aber vielleicht kehrst du auch wieder in dein Apartment zurück." dieses Mal sprach er deutlich zu Liron, welcher sofort die Augen aufriss und den Kopf schüttelt. "Ich werde nicht von April's Seite wei-"
"Jetzt lass mich doch erstmal ausreden." unterbrach der weißhaarige Mann den Jungen seufzend. "Ich habe hier keinen Platz für ein Mädchen was nur am Boden herum kraucht und es nicht auf die Reihe bekommt mal zu kämpfen. Daher wirst du sie mit dir nehmen. die Patrouillen wurden verstärkt, sodass die Hunde nicht wieder so schnell auf eure Fährte kommen, dazu haben die ja auch nicht länger jemanden bei sich, der sie findet, egal wo wir sie verstecken." schon wieder wollte er gehen, ehe ihm doch noch etwas einfiel. Mit einem Mal kam so viel zusammen, dass es ihm wirklich schwer fiel auch ja an alles zu denken. Vielleicht lag das auch nur an der Aufregung. "Aber noch nicht gleich. Eine Nacht werdet ihr noch hier bleiben müssen, morgen bekommt unsere kleine April nämlich Besuch." voller Vorfreude grienend drehte sich Gideon nun ein letzte Mal, gänzlich zu den beiden um. "Immerhin ist sie ja jetzt völlig Schutzlos und da wir vor einiger Zeit den Hodge extra um Ersatz gebeten haben, trifft dieser morgen ein. Natürlich an einem anderen Ort, aber April muss ja schließlich mitkommen. Da kommst du gleich mal an die frische Luft."

Die Rothaarige nickte jedes von Gideons Worten ab. Sie wollte ihm nicht länger wiedersprechen. Nicht, wenn er ihre einzige Chance war, Arved je wieder zu sehen. Jetzt wo er hier war und nicht ins Institut zurück musste, hätten sie vielleicht endlich eine Chance - zusammen. Doch vielleicht wäre dies auch die einzige Möglichkeit, dieses Band zu schwächen. Vielleicht war es der einzige Weg Arved loszulassen, damit er ein Leben hätte, in dem ihre Beziehung sie nicht ständig abhängig machte und sie in Lebensgefahr brachte. Möglicherweise wollte er das ja und hatte deswegen angefangen mit vergessen. Der Gedanke daran schmerzte. Sie wollte das Arved glücklich wurde, aber genau das wurde ihm verwehrt, egal wo er war, denn auch wenn er sich nicht erinnerte, versuchte man ihn immer zu formen. Dabei nahmen Hodge und Gideon sich nichts. April wusste auch nicht, ob sie froh darüber sein sollte, nicht mehr in der Zelle zu sein. Inzwischen fürchtete sie sich allein in der Dunkelheit und sie sehnte sich danach, bei Liron zu sein, doch gleichzeitig sorgte sie sich darum, wie es ihr ergehen sollte, wenn sie sich zu weit von Arved entfernen sollte. Würde der Schmerz dann erneut beginnen? Sie war so nah dran, ihn wiederzusehen. Wenn sie hier hätte bleiben können, dann hätte sie ihn vielleicht suchen können. Nein, das war unsinn. Ihre eigenen Beine trugen sie nicht weiter als ein paar Meter, wenn überhaupt.
"Hodge hat ihn ersetzt?", fragte sie schließlich, um Gideon vom Gehen abzuhalten. "Er hat seinen eigenen Sohn einfach ersetzt?! Und du? Willst du mich jetzt an ihn ausliefern? Oder soll ich nur wieder ein wenig weinen, eine Show abziehen, damit du deinen Spaß hast?"

Gelangweilt holte Gideon tief Luft. "Also bitte, ob er den Typen jetzt wirklich als seinen Sohn angesehen hat..." es war nicht unbegründet, dass er diese Worte abfällig brummte, da während dieses überflüssigen Gespräches kamen Bilder von einer längst vergangenen Zeit in ihm hoch. Nicht das es unüblich war, aber es blieb eine Tatsache der er mit überstrapazierten Nerven gegenüber stand. "Diese Hunde sind für ihn ein Geschäft, nicht seine Familie. Er verdient einen Haufen Geld damit in dem er Kinder von der Straße aufliest, ihnen eine Gehirnwäsche verpasst, sie in Anzüge stopft und an reiche Leute verkauft. Das liegt hinter dem Begriff 'Secret Service'." bei ihrer letzten Frage legte der Mann den Kopf schräg, als müsse er tatsächlich über diese Worte nachdenken. "hm, nein. So schnell gebe ich dich nun auch wieder nicht her. Du hast dich freiwillig hierzu entschieden, also gehörst du nun ganz mir und den Jägern. Die nächsten Schritte werden also sein, dein neues Haustier abzuholen und dich dann wieder auf Vordermann zubekommen, damit du mal etwas aktiver wieder wirst. Immerhin kann ich einer meiner besten Leute nicht immer als deinen persönlichen Seelenklempner abgeben."
Bevor der jüngere, der beiden Männer, auch nur Luft holen konnte, um auch gleich wieder dagegen zu setzten richteten sich die goldenen Augen des Weißhaarigen direkt auf ihn. "Lass mich erst ausreden! Du wirst sie weiter mit dir mit schleifen und dafür sorgen, dass sie bei dem nächsten Auftrag in einem halben Monat wieder fit ist. Der Auftrag bezieht sich diesmal auf ein anderes Institut, nur damit ihr schon mal Bescheid wisst. Auch wenn...." Gideon legte eine Hand unter sein Kinn, als ihm etwas einfiel, ehe er breit grinsend zu den zweien vor ihm zurück sah. "Jetzt gibt es dort ja keinen Köter mehr, der alles durcheinander bringt."

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April saß auf der Pritsche in der dunklen Zelle. Sie wusste nicht, warum sie dort saß, die Tür stand offen, doch wohin sollte sie gehen? Es war die erste Nacht, die sie ohne Schmerzen durchlebt hat. Es war einfach still, doch schlafen konnte sie nicht. Er lebte - Arved war die ganze Zeit am Leben gewesen. Er hatte viel gelitten und er hatte sie vergessen. Es schmerzte daran zu denken, aber die Tatsache, dass er noch immer am Leben war, ließ sie all das vergessen. Ihr Herz raste und Kopf hämmerte, all das nur wegen ihm. Nun hatte sie die Chance, alles wieder gut zu machen. Früher oder später musste Gideon sie einfach zu ihm lassen, dann könnte sie ihn wiedersehen, seine Stimme hören, seine Wärme spüren. Wenn sie sich gut machte, könnte sie ihn vielleicht beschützen. Sie musste nur hart genug arbeiten. Nun hatte sie ein Ziel. Sie musste stärker werden. Wenn sie aufhörte zu schreien und zu weinen, wenn sie sich zur Wehr setzte, würde Gideon sich vielleicht entscheiden, ihm nicht mehr wehzutun. Wieder dachte sie an all die Narben an seinem Körper, an die vielen offenen Wunden. Wenn man sie zu ihm ließ, könnte sie diese womöglich versorgen. In Gedanken sponn sie über die Zeit bereits einige Szenarien für ihr Wiedersehen mit Arved, doch die Realität sah anders aus. Sie war unterernährt, nicht in der Lage den eigenen Körper oder die eigene Kraft zu kontrollieren, sie weigerte sich zu essen, schlafen tat sie auch nicht und ihre Beine waren zu schwach, um ihren Körper zu tragen. Wie sollte sie es schaffen stärker zu werden. Allein an diesem Morgen hatte Liron sie tragen müssen, weil sie es nicht allein zu den Duschen schaffte. Er hatte sie waschen und anziehen müssen und zu guter letzt hatte er ihr sogar die Haare gekämmt, all das ohne einen Mucks. Sie wollte ihn gerne fragen, ob er etwas von Arved gewusst hatte, aber eigentlich spielte das keine Rolle. Sie war so oft daran Schuld, dass ihm etwas zugestoßen war, nur weil sie egoistisch gehandelt hatte, und doch blieb er immer bei ihr. Es war ihr ganz egal, was er tat, solange er bei ihr blieb. Nun wartete sie eigentlich nur darauf, dass Gideon sie holte oder holen ließ.