Trevor
Linda legte den Kopf leicht schief und antwortete: "Danke, mein Engel. Viele der Stücke sind antik. Mein Vater hat es eingestellt. Er war Innenarchitekt." Für einen kurzen Moment sah sie gekränkt zur Seite, fing sich dann aber wieder und fragte: "Möchtet ihr etwas von dem Marmorkuchen? Ich hab ihn gerade frisch gebacken." Ich fühlte mich, als wäre ich wieder ein Kind. In Hotel Mama mit May zum Übernachtungsgast. Natürlich war Linda weder meine Mutter, noch irgendwie mit mir verwandt, aber rein alterlich könnte sie es sein. Sie war in etwa Ende 40. "Ja, gern", sagte ich und hielt ihr meinen Teller hin, auf den sie ein Stück des Kuchens legte.

Vincent
"Hallo ihr Lieben!", rief Vincent und lief zu uns an den Tisch. Er nahm sich eine Scheibe Schinken und stopfte sie in seinen Mund. Er ignoriert Lindas strafenden Blick und sagte: "Ich hab noch die Kutsche geputzt und Preston fertig gemacht. Hast du Lust auf eine kleine Reitstunde, May? Ich hab zwar viel zu tun, aber..." Ich unterbrach ihn: "Ich mach das schon Vince." Dann wandt ich mich zu May: "Na, hast du Lust?"

Trevor (Mini-zeitsprung)
Wir liefen die endos erscheinende, gekieste Strecke zwischen den Stallungen entlang zu der Stelle, wo Preston angebunden war. May trug alte Reitkleidung von Linda, schwarze Stiefel, eine dunkelbraune Reithose, ein Helm. Und ein rotes Reitjacket, das May irgendwie edel aussehen ließ. Als wäre sie eine bekannte Springreiterin. Nunja, Linda war das ja zu ihrer Zeit auch. Meine Ausrüstung war hauptsächlich schwarz mit silbernen Elementen.

Trevor
Bei Preston angekommen, klopfte ich seinen Hals und sagte "Preston ist eins der besten Springpferde hier. Ich habe mit ihm schon so manche Turniere gewonnen. Ein richtiger Prachtkerl, was?" Keine Antwort. Ich drehte mich verwirrt um. "May?" Sie war nirgendwo zu sehen. "May!", rief ich und murmelte dann noch: "Ach verdammt...". Hier würde ich sie niemals finden. Es waren hunderte von Ställen und Boxen auf der Anlage! Ich joggte den Weg zurück, als ich von einem der Stallungen links von mir May irgendwas sagen hörte. Ich lehnte mich halb hinein und sah, wie May auf der anderen Seite in einen der Boxen hineinging. "May!", sagte ich und lief erleichtert zu ihr. Sie sah fürchterlich traurig aus. "Was ist den los?"

Trevor
Warum dieses Pferd? Warum ausgerechnet dieses? Ich beobachtete sie von der Stalltür aus. Sie kniete sich vor der Labella hin, was ich für sehr unklug hielt, aber anstatt May zu stoßen stupste Labella sie nur. Normalerweise war Labella sehr sehr feindselig gegenüber Fremden. Und wer war daran Schuld? Linda stellte sich plötzich neben mich und verschrenkte mit einem schiefen Lächeln ihre Arme. Ich muss May hier irgendwie wegbringen. "Das ist unglaublich...", murmelte Linda. "Unglaublich, unglaublich... schade", stammelte ich, "dass wir jetzt wieder gehen müssen." Meine Stimme war nervöser als sie eigentlich sein sollte. Ich versuchte beim nächsten Satz standhafter zu klingen: "Preston steht ganz allein gesattelt draußen und wartet auf uns." Linda hob unterbrechend die Hand und sagte: "Dann geh doch draußen mit ihm spielen, Trevor." Sie ignorierte meinen strafenden Blick und lief zu May und Labella in die Box. "Es ist absolut wahnsinnig, dass sie sich bei dir so ruhig verhält. Fremden gegenüber war sie immer sehr bockig und hat getreten und gebissen. Nunja, leider ist ist es jetzt zu spät." May hob fragend die Augenbrauen: "Zu spät?"-"Linda, nicht!", bat ich sie eindringlich. Linda sprach trotzdem weiter: "Labellla hatte einen Lahmfuß. Trevor hat sie heimlich vom Schlachter gerettet. Er ist einfach nachts dort eingebrochen und hat Labella mitgenommen." Sie lachte. Mir wiederum war überhaupt nicht nach Lachen zu Mute. Ich ließ mich im Gang vor den Ställen auf eine alte Holzbank sacken und stützte mein Gesicht in meine Hände. "Er hat sie im Wald versteckt und dort trainiert, bis ihr Bein wieder verheilt war. Aber eine Sache hat er nicht bedacht. Als er sie hierher brachte, war das arme Ding nach Monaten allein im Wald, nur mit Trevor, nun umgeben von hunderten von anderen Pferden und noch mehr Menschen. Labella wurde schrecklich eingeschüchtert und alles andere als reitfähig. Trevor hat sie schon 2 Jahre lang durchgebettelt, aber Vincent hielt es für angebracht, die freie Box für Reitpferde zu benutzen. Er sieht in ihr keinen Sinn mehr, außer Geldverschwendung." Linda's Stimme war kühl und emotionslos, als sie sagte: "Sie wird morgen geschlachtet."

Trevor
Meine Kinnlade fiel herunter, als sie mit Labella an ihrer Seite aus dem Stall hinausstolzierte. "May, wie-?" Ich saß da wie angewurzelt und starrte den beiden hinterher. Linda legte ihre Hand auf meine Schulter und sagte: "Ich werde das Vincent erzählen. Aber geh du erst mal mit ihr ausreiten." Ich schaute zu Linda hoch. "Ausreiten? May weiß doch noch nicht mal, wie man reitet!" Sie wandte sich von mir ab und lief nach draußen, wärend sie sagte: "Dann brings ihr bei!" Sie lachte herzlichst, als sie um die Ecke bog. Einen Moment saß ich starr da, bis mir klarwurde, dass May mich gerade von meinen Schuldgefühlen der Stute gegenüber befreit hat. Ich sprang auf und joggte nach draußen. Dort stand May und redete beruhigend auf Labella ein, die tatsächlich vollkommen entspannt im Hauptgang zwischen den zwei Stallreihen stand. Ich lief zu May und erklärte ihr alles im Kurzen: "Also, May. Wir gehen jetzt ausreiten. Du auf Labella, ich auf Preston. Keine Angst. Labella kennt sich aus im Wald. Labella kann allerdings höchstens traben. Ihr Bein ist nicht vollkommen verheilt." Ich kratzte mich am Nacken und fügte hinzu: "Also... wenn du mal ein bisschen gallopieren willst, musst du dich hinter mich auf Preston setzen." Sie stimmte zu und keine 15 Minuten später hatten wir auch Labella fertig aufgezäumt.
"So und jetzt gib mir deinen Fuß", sagte ich und mit einem Mal saß May auf Labella's Rücken. Labella war recht groß, also musste ich mich auf Zehenspitzen stellen, um May zu zeigen, wie man am Besten die Zügel hält. Ich umklammerte ihre Hand und legte ihre Finger in die richtige Position. Sie schaute von Libellas Rücken hinab wie eine Königin zu ihren Untertanen und lächelte. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal auf dem Rücken eines richtigen Pferdes saß. Es ist ein bombastisches Gefühl. Ich ging hinüber zu Preston und mit einem eleganten Aufschwung saß auch ich auf meinem Pferd. Ich steuerte Preston neben Libella, um zu sehen, ob die beiden sich verstanden. Aber mit May schien sich Labella scheinbar mit jedem zu verstehen. Ich blickte neben mir zu May und fragte: "Bereit?"

Trevor
Sie schien auf Black Tear ganz gut zu Recht zu kommen. Wir ritten auf dem ausgetretenen Trampelpfad in Richtung Wald. Sie wurde schneller und schneller, bis sie fast gallopierten. "Hooo!", rief ich ihnen hinterher und kurze Zeit später verfiel sie wieder in leichten Trab. Ich ließ Preston erst ein bisschen einlaufen. Solange ich May und Black Tear noch sehen konnte, war alles in Ordnung. In der Ferne sah ich, wie Black Tear in einen weniger offiziellen Teil des Waldes abbog und musste grinsen. Ich hätte es wissen müssen. Black Tear lief zu der idyllischen kleinen Lichtung, in der ich sie damals aufgepeppelt hatte. Ich ließ ihnen ein wenig Vorsprung, weil ich Black Tear vertraute. Und May sowieso. Nach ein paar Minuten, beschloss ich aufzuholen. Preston, der wahrscheinlich schon die ganze Zeit darauf gewartet hatte, gelloppierte los wie der Blitz, als ich ihn auch nur leicht anstupfte. Es war wundervoll! Ich lehnte mich in den Wind und bog eine Abzweigung nach May's in den Wald hinein. Preston raste in gleichmäßigen Akkorden durch den Wald und weichte Ästen und Wurzeln ohne große Probleme aus. Ich schloss die Augen für einen Moment und verlor mich für eine kurze Zeit in dem einzigartigen Gefühl der Schwerelosigkeit. Nach kurzer Zeit fiel mir wieder ein, dass ich May versprochen hatte auch mal mit ihr zusammen zu galloppieren, also zügelte ich Preston zu liebe das Tempo. Ich nahm die übernächste Abzweigung nach rechts und landete auf der Lichtung, die sich seit dem letzten Mal kaum verändert hatte. Ich hielt neben der kleinen etwas versteckten Hütte, in der ich damals größtenteils gelebt hatte und stieg ab. Während ich Preston an der Hütte anband, suchte ich nach May und Black Tear. Einen kuzen Moment umgab mich die Panik, bis ich auf die Lichtung trat und May neben Black Tear in der Wiese sitzen sah. Sie saß mit dem Rücken zu mir und schaute nachdenklich in den Wald hinein. Ich war etwa fünf Minuten nach ihr angekommen. Vorsichtig streichte ich mir den Helm vom Kopf und legte ihn zur Eingangstür der kleinen Holzbaracke. Ich gab Preston eine Karotte und lief dann über die blühende Wiese zu May hinüber. Ich setzte mich im Schneidersitz direkt neben sie und schaute sie von der Seite an. Sie schien irgendwie traurig zu sein. "Woran denkst du gerade?", fragte ich sachte und legte meine Hand beruhigend auf ihre Schulter.

Siana
Sie schien etwas verschreckt, hin und her gerissen, als hätte sie über etwas wichtiges nachgedacht. Ich hatte das nicht erwartet und wollte sie zu nichts zwingen, also holte ich tief Luft und versuchte, einen halbwegs hilfreichen Monolog abzuliefern, was gar nicht so einfach ist, wenn man nicht weiß, worum es geht. "Du musst es mir nicht sagen. Ich will nur sagen... das Leben steckt voller Entscheidungen. Manchmal birgt hinter dieser ein Meer voller Möglichkeiten, das kaum zu bändigen ist. Manchmal sind die Möglichkeiten nur zwei schwere Steine. Allerdings muss man herausfinden welcher der leichtere ist. Letzten Endes erscheint das Dilemma auswegslos. Jeder Weg ein Abgrund. Aber die wohl größten Entscheidungen ist die konkrete Wahl. Es gibt nur einen Weg und mindestens einer wird dabei immer verletzt. Und klar, dann beginnt man natürlich das größere dem kleineren Übel abzuwägen, aber am Schluss ist und bleibt es eine egoistische Entscheidung. Eine Wahl gemäß seines eigenen Bauchgefühls. Man muss sich vorstellen, dass man nicht dem Einen schadet, sondern den Anderen unglaublich glücklich macht. Und ich glaube, wenn man sich Nicht auf diese Freude konzentriert dann... dann hat man beiden Entscheidungen den Rücken zugewandt." Zum ersten Mal seit ich angefangen hatte zu reden, sah ich wieder zu May. Sie schien mich nicht auslachen zu wollen, was mich erstmal erleichterte. Ich fragte mich nur, ob meine Worte zu ihren Gedanken überhaupt passten.