Sofort wandte Marú sich um, um wieder zurück zum Haus zu gehen. Den Weg zurück hatten sie schneller hinter sich gelassen, da Marú größere und schnellere machte, als auf dem Hinweg, zu der sonnigen Lichtung.
Mit Nate an der Hand, betrat sie wieder das Haus und schlug den Weg zu der Bibliothek ein. Dieser Raum schien ihr am passendsten. Für sie gab es keinen anderen Raum in diesem Haus, indem sie sich genauso frei bewegen konnte, wie in dem Schlafzimmer, welches sie seit einiger Zeit bewohnte.
In der Bibliothek angekommen, schloss sie hinter Nate die Tür und steuerte auf die Sitzmöglichkeiten zu. Die Bücher, die noch immer auf den Beistelltisch lagen, räumte sie auf das naheliegende Fensterbrett, um Platz zu haben. Die zwei Sessel, die dort standen, platzierte sie so, dass sie sich beide gegenüber sitzen konnten.
Gleich im nächsten Moment stellte sie einen Kerzenständer mit einer darauf stehenden Kerze in die Mitte des Tisches und zündete sie an.
Nur mit einem Blick forderte sie dann Nate auf sich ebenfalls zu setzten und es ihr somit gleich zu tun, als sie sich auf einen der Sessel setzte.
"Ich hoffe es funktioniert." Sprach sie ihren Wunsch, mit dem Blick auf die Flamme gerichtet, laut aus.

Ein nicken folgte noch auf seine Worte von ihrer Seite, bevor sie auch schon ihre Hände flach auf den Tisch legte und ihre großen Augen schloss.
Sie wusste nicht wie sie es anstellen sollte, doch aus ihrer Intuition heraus versuchte sie sich erstmal auf sich selbst zu konzentrieren. Sie versuchte ganz tief in sich hinein zu horchen und und sich auf eines ihrer Gefühle zu konzentrieren, welches sie im Moment am stärksten empfinden konnte.
So saß sie eine ganze Weile da, sodass sich sogar eine kleine Furche zwischen ihren hellen Augenbrauen gebildet hatte, was zeigte, wie sehr sie sich darauf konzentrierte.
Als sie dann das Gefühl hatte, dass ihre Gefühle nicht mehr so schnell umschlagen konnten, versuchte sie sich das Bild der Kerze vor sich, vor ihrem inneren Auge vorzustellen.
Auch auf das konzentrierte sie sich wieder eine Weile und als sie selber der Mut verließ, fing die ruhig aussehende Flamme, vor ihrem inneren Auge an sich zu bewegen, als stünde sie in einem Luftzug.
Und so wie es in ihren Gedanken aussah, so konnte man auch an der Kerze vor den beiden erkennen, dass sie anfing sich zu bewegen.

Einige Zeit verging, in der sich der Zustand der Kerze nicht veränderte. Sie wiegte leicht in einem nicht vorhandenen Luftzug, bevor sich wieder Etwas veränderte. Da sich Marú so stark konzentrierte, schaffte sie es, dass die kleine Flamme immer mehr an Größe zunahm und sich immer mehr bewegte.
Ganz langsam öffnete sie ängstlich aber auch ehrfürchtig ein Auge, um sich von ihrer Arbeit zu überzeugen.
Als sie sah, was sie durch einfaches konzentrieren geschafft hatte, öffnete sie sogar das andere Auge und fing an über das ganze Gesicht zu strahlen. Gebannt von dem Spiel der Flamme, löste sie nicht einmal den Blick davon. "Siehst du das auch?" Fragte sie flüstern, aus Angst es würde wieder erlischen.

"Gut, dann habe ich es mir nicht nur eingebildet." Flüsterte Marú wieder.
Mit jeder Minute, die sie auf die Flamme starrte, konnte man es ihr nur zu gut anmerken, dass sie sich riesig darüber freute und mit diesem Gefühl, wurden die Bewegungen der Flamme immer hektischer, was Marú persönlich nicht so wahrnahm. In ihrer jetzigen Lage überwog das Gefühl der Freude in ihr.
Ihre Augen leuchteten, sie wie das Feuer vor sie und auch ihr Lächeln auf ihren zarten Lippen wurde größer. "Das ist der Wahnsinn." Nun wurde sie langsam in ihrer Stimme lauter und für eine Sekunde schielte sie zu Nate, der ebenfalls gebannt auf die Flamme schaute.
Umso mehr sich Marú sicherer fühlte, indem was sie gerade tat und sie fühlte sich eindeutig sicher und hatte das Gefühl, sie könnte es tatsächlich schaffen, umso mehr entglitt ihr die Kontrolle über die Flamme. Denn diese wurde immer größer und in ihrer Bewegung immer hektischer, sodass Marú zu spät merkte, dass sie die Kontrolle verlor. So sah es nun aus, als würde die Flamme nun Marú kontrollieren und sie ihrer Kraft berauben, um immer größer zu werden. Das schlimme daran war, dass es Marú im ersten Moment freute, doch im zweiten Moment gab sie einen erschrockenen Laut von sich, wobei sie ihre Hände vor ihren Mund schlug.
Denn als sie Flamme am größten war, schlug sie so sehr aus, dass sie Nate an der Wange traf. Es war nicht nur ein kurzes entlangstreifen an seiner Wange, sondern als die Flamme im nächsten Augenblick erlosch, da Marú jegliche Konzentration verlor, erkannte sie, dass seine gesamte Wange rot war. Mit, vor Angst geweiteten, Augen starrte sie ihren Freund sich gegenüber an, während sie mit dem Sessel von Tisch wegrutschte, nicht im Stande irgendwas zu sagen.

"Nicht aufgepasst?!" Wiederholte Marú seine Worte verständnislos. "Das ist doch alles meine Schuld! D-du hast doch gar nichts gemacht. Das war alles ich." Ihre Stimme zitterte, da sie die Tränen, die ihre Augen glasig färbten, unterdrücken wollte. "Oh Gott! Es tut mir leid! I-ich wollte das nicht. Das weißt du doch, oder?" Langsam ließ sie ihre Hände wieder auf den Tisch sinken, wobei eine ihrer Hände sich langsam nach vorn streckte, um nach seiner Hand zu suchen. Doch als sie das bemerkte zuckte sie, erschrocken über sich selbst, zusammen und zog ihre Hand ruckartig zurück. "Nate i-ich wollte dir nicht weh tun. Es tut mir so leid. Das war nicht meine Absicht. Ich habe mich nur so sehr gefreut. Oh Gott! Ich werde es nie wieder versuchen!"
Letzten Endes schaffte es doch eine ihrer angesammelten Tränen sich aus einem ihrer immernoch vor Schreck geweiteten Augen zu kämpfen und ihre blassen Wangen hinunter zu kullern.

"Wie soll ich mir denn keine Gedanken machen?!" Fragte sie verzweifelt, während sie sich immer wieder über die Wangen wischte, da sie nicht aufhören wollte mit weinen. "Ich habe es doch gesagt, dass ich hier jemanden verletzen werde und dann ausgerechnet dich." Verzweifelt vergrub sie ihr Gesicht in ihren zitternden Händen und schüttelte den Kopf. Als Marú jedoch ein unauffälliges ächzen hörte, befreite sie ihre Augen von den Händen, die sie davor gehalten hatte und schaute auf den Tisch vor sich. Bei diesem konnte man erkenne, wie sich ganz von allein Risse in dem Holz bildeten. Erschrocken rutschte Marú samt Sessel noch weiter von dem Tisch weg. "Das soll endlich aufhören." Flüsterte sie heißer. "Nate i-ich kann das nicht mehr weiter versuchen. Am Ende tu ich euch noch allen weh." Ein leises Schluchzen folgte ihren Worten, wobei sie mit flehenden Blick zu dem Jungen auf schaute. "Es tut mir so leid."

Für nur einen Moment gab sie sich seiner Umarmung und auch seiner Worte hin, bei welchen sie das Gefühl hatte, es wäre das einzige, was sie wieder aufbauen könnte. Doch schon im nächsten Moment zuckte sie, geschuldet ihrer rasenden Gedanken, zusammen und schob Nate unsanft von sich weg. "Fass' mich nicht an." War das erste was sie über ihre Lippen bekam. "Ich tuh dir bestimmt nur wieder weh!" Fluchtartig stand sie von dem Sessel auf und machte einige Schritte von dem Jungen weg, um Abstand zu gewinnen. "Bleib lieber weg." Wiederholte sie nochmal, als sie durch den Tränenschleier Nate im Auge behielt. Sie hatte zu große Angst, dass er nicht auf ihre Worte hören würde und sie wieder berühren würde.
"I-ich werde in mein Zimmer gehen." Brachte sie dann stotternd hervor, während sie die Hände, die bewegungslos neben ihren Körper hingen, zu Fäusten ballte. Sodass sich ihre Nägel in ihre Handflächen gruben. Gegen ihren eigenen Willen wandte sie sich auch schon, mit gesenkten Kopf und einem immer wiederkehrenden leisen Schluchzen, zum gehen.

Noch bis sie aus der Bibliothek trat konnte sie an sich halten und mit langsamen Schritten das Zimmer verlassene, ohne sich jedoch nochmal zu Nate um zu drehen.
Als sie den Raum hinter sich gelassen hatte, packte sie ihr Kleid, hob es an und rannte den restlichen Weg, hoch in ihr Zimmer.
Marú schloss hinter sich die Tür und lehnte sich an diese, bevor sie haltlos schluchzte und die dicken Tränen in Strömen ihre geröteten Wangen hinab liefen.
Wie konnte sie nur glauben, dass das eine gute Idee war? Das war eine ganz grauenhafte Idee gewesen und sie, die älter und reifer als Nate war, hatte das wissen müssen, dass nichts gutes dabei herauskommen konnte.
Es war genau das passiert, wovor sie sich am meisten fürchtete. Sie hat eine Person verletzt, die sie ins Herz geschlossen hatte und sogar liebte, wie ihre Familie.
Sie hätte das wissen müssen. Mischlinge konnten ihre Kräfte noch nie kontrollieren, dafür waren sie schon immer zu schwach gewesen. Das hatte sie gelesen.
Und warum sollte es dann bei ihr anders sein? Nur weil sie sich mit ihren zwei Elementen von anderen Mischlingen abhob? Nur weil sie dachte, dass sie anders wäre, als die anderen unkontrollierbaren Wesen? Das war schlicht und ergreifend dumm von ihr und das wusste sie.
Mit wackeligen Schritten ging sie nun auf das große Bett zu, welches mittig im Raum stand und ließ sich kraftlos darauf fallen. Ebenso träge rutschte sie an die Kopflehne des Bettes, lehnte sich dort an, sog ihre Beine eng an ihren Körper und legte ihre Arme um diese, während sie ihr Gesicht in ihre Knie vergrub.
Um sie herum bekam jegliches hölzernes Möbelstück kleine Risse, die immer größer wurden, jedoch nur langsam. Selbst die weißen rosafarbene Nelken, die sie schon eine gefühlte Ewigkeit besaß und nicht eine Blume von dem Strauß bis jetzt verwelkte, ließen erst die Köpfe hängen und verwelkten langsam, umso weiter Marú weinte.